Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
würde seine ganze Zeit in Anspruch nehmen, und das war auch besser so. Viel besser, sagte sich Burden energisch.
Am Sonntag abend waren die Vertreter der nationalen Presse in großer Zahl angereist, und Wexford hatte höchst widerwillig eine Pressekonferenz abgehalten. Er mochte Reporter nicht, aber sie hatten ihren Nutzen. Im großen und ganzen bewirkte die Publicity, die sie dem Grauen und dem Schmerz verschafften, wohl mehr Gutes als Schlechtes. Ihre Artikel würden ungenau sein, die meisten Namen falsch geschrieben - eine überregionale Tageszeitung hatte einst mehrfach von ihm als Polizeichef Waterford gesprochen - doch die Öffentlichkeit würde aufgerüttelt, jemand kam vielleicht mit etwas Hilfreichem. Bestimmt konnten sie mit Hunderten von Anrufen rechnen und zweifellos mit weiteren anonymen Briefen wie dem, der heute morgen Martin, Gates und Loring zu einem Termin in Cheriton Forest veranlaßt hatte.
Wexford war von zu Hause weggegangen, bevor die Zeitung kam, und jetzt, um neun, betrat er Braddon’s, um die Tageszeitungen zu kaufen. Der Laden hatte eben erst aufgemacht, aber es war jemand vor ihm. Wexford seufzte. Er kannte diesen grauen, runden Kopf, die kurze, ausgemergelte Gestalt. Sogar jetzt, wo er unschuldig sechzig Number Six erstand, hatte der Mann etwas Heimtückisches. »Guten Morgen, Monkey«, sagte Wexford sanft.
Monkey Matthews zuckte nicht zusammen. Er gefror kurz und drehte sich dann um. Wenn man ihn von vorn betrachtete, war leicht zu sehen, wie er zu seinem Spitznamen gekommen war. Er reckte sein vorspringendes Kinn, kräuselte die Nase und meinte düster: »Die Welt is doch’n Dorf. Ich komm mit Rube, nur wegen der Busfahrt, nichts Böses im Sinn, und ‘vor ich noch die erste Lulle brennen hab, sind mir die Bullen auf den Fersen.«
»Nimm’s nicht so schwer«, sagte Wexford friedfertig. Er kaufte seine Zeitungen und geleitete Monkey hinaus auf den Bürgersteig.
»Ich hab nix nich gemacht.«
Das war Monkeys stehende Redewendung, wenn er einen Polizisten traf, sogar wenn es zufällig war wie jetzt. Burden hatte einmal erwidert: ‘Zwei Verneinungen ergeben eine Bejahung, da wissen wir ja, woran wir sind, oder?’
»Lange nicht gesehn.« Wexford verabscheute diese Redewendung, aber Monkey würde sie verstehen und ärgerlich finden.
Das tat er. Um eine leichte Verwirrung zu verbergen, zündete er sich eine Zigarette an und inhalierte gierig. »Norden gewesen«, sagte er unbestimmt. »Hab’s mal im Teppichhandel versucht. Liverpool.«
Das würde er später nachprüfen, dachte Wexford bei sich. Für den Moment begnügte er sich mit einem Schuß ins Blaue. »Du warst in Walton.«
Bei der Erwähnung des Gefängnisses nahm Monkey die Zigarette aus dem Mund und spuckte. “Ich und mein Partner«, sagte er, »‘nen ehrlicheren Kerl findet man nich so leicht, wir hatten so was wie’n Marktstand, und so’n drekkiger kleiner Schweinehund dreht uns fünfzig Dutzend Paar Netzstrumpfhosen an. Zweite Wahl angeblich, aber die Hälfte davon hatte kein Zwickel. Verdammter, mieser Lockspitzel.«
»Solche Reden möchte ich aber nicht hören«, sagte Wexford, und etwas milder: »Also wieder bei Ruby, soso? Wird’s nicht langsam Zeit, daß du eine anständige Frau aus ihr machst?«
»Me with a wife living?« Unbewußt echote Monkey den Lear Limerick. “Bigamie, Sir, ist ein Verbrechen«, sagte er. »Entschuldigen Sie, mein Bus kommt. Ich kann nicht den ganzen Tag hier rumstehen und klatschen.«
Mit breitem Grinsen beobachtete Wexford, wie er zur Bushaltestelle auf der Kingsbrook Brücke hastete. Er warf einen Blick auf die Titelseite der obersten Zeitung, sah, daß Stella von einem Sergeant Burton in einer Höhle unweit des winzigen Dörfchens Stowerton gefunden worden war, und aus seinem Grinsen wurde ein Grollen.
9
Monkey Matthews war während des Ersten Weltkrieges in Londons East End geboren worden und hatte seine Erziehung weitgehend in Besserungsanstalten erhalten. Seine Heirat mit einem Mädchen aus Kingsmarkham im Alter von zwanzig Jahren hatte ihn in ihre Heimatstadt geführt, wo er mit seiner Frau - wenn er nicht gerade im Gefängnis war - im Haus ihrer Eltern lebte. Gewalttätigkeit war ihm fremd, doch vielleicht nur deshalb, weil er ein Feigling war, nicht aus Prinzip. Meist stahl er. Er stahl aus Privathäusern, von seiner eigenen Frau und deren bejahrten Eltern und von den wenigen Leuten, die töricht genug waren, ihn einzustellen.
Im Zweiten Weltkrieg nahm ihn die
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