Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
nehme ich euch eben mit aufs Revier«
»Mr. Casaubon würde das nicht mögen.« Monkey starrte den alten Mann an, vielleicht wollte er ihm suggerieren, daß er Anzeichen von Horror zeigen sollte, doch Mr. Casaubon saß einfach mit halbgeschlossenen Lidern und summte weiter monoton vor sich hin. »Wir gehen zu Rube, sie is zum Babysitten weg.«
Wexford hob zustimmend die Schultern. Befriedigt stupste Monkey Mr. Casaubon in die Seite. »Komm, Genosse, aufwachen, aufwachen.«
Mr. Casaubon brauchte eine Weile, um auf die Beine zu kommen. Wexford ging schon zur Tür, aber Monkey, sonst nicht gerade berühmt für rücksichtsvolle Manieren, blieb geduldig in der Nähe seines Freundes stehen, lieh ihm den Arm und geleitete ihn sorgsam auf die Straße.
Burden hatte sie noch nie angerufen. Sein Herz schlug leicht und schnell, während er dem Wahlton lauschte und sich vorstellte, wie sie mit ebenfalls rasch klopfendem Herzen zum Telefon rannte, weil sie ahnte, wer es war.
Die Ruhe in ihrer Stimme ließ seine Erregung abflauen. Sanft und fragend nannte er ihren Namen.
»Ja, am Apparat«, sagte sie. “Wer spricht?«
»Mike.« Sie hatte seine Stimme nicht erkannt, und seine Enttäuschung war abgrundtief.
Doch sobald er sich zu erkennen gab, holte sie hörbar Atem und sagte rasch: »Du hast Neuigkeiten für mich? Es hat sich endlich etwas getan?«
Er schloß einen Moment die Augen. Sie konnte an nichts anderes als an dieses Kind denken. Sogar seine Stimme, die Stimme ihres Geliebten, war für sie nur die Stimme eines, der vielleicht ihr Kind gefunden hatte. »Nein, Gemma, es gibt nichts Neues.«
»Es war das erste Mal, daß du mich angerufen hast«, sagte sie leise.
»Heute nacht war auch das erste Mal.«
Sie schwieg. Burden meinte, noch nie ein so langes Schweigen erlebt zu haben, Äonen von Schweigen, Zeit für zwanzig Autos, an der Telefonzelle vorbeizudonnern, Zeit für die Ampel, auf Grün und wieder auf Rot umzuspringen, Zeit für ein Dutzend Leute, ins Olive zu gehen und die Tür zum Schwingen zu bringen, hinter sich schwingen zu lassen, bis sie wieder in Ruhestellung fiel. Dann endlich sagte sie: »Komm zu mir, Mike. Jetzt. Ich brauche dich so.«
Da war eine andere Frau, mit der er sich erst würde auseinandersetzen müssen.
“Ich muß heute abend noch mal weg, Grace, Arbeit«, sagte Burden, allzu geradlinig, allzu unschuldig vielleicht, um eine Doppeldeutigkeit darin zu sehen, die Wexford auf die Palme gebracht hätte. »Es kann Stunden dauern.«
Sie waren Anhängerinnen langen, bedeutungsvollen Schweigens, seine Frauen. Grace brach ihres im scharfen, knappen Stationsschwesternton. “Lüg mich nicht an, Mike, ich habe eben auf dem Revier angerufen, und da sagte man mir, daß du heute abend frei hast.«
»Du hattest kein Recht, das zu tun«, brauste Burden auf. »Selbst Jean hat das nie getan, und sie hatte ein Recht dazu, sie war meine Frau.«
»Es tut mir leid, aber die Kinder haben gefragt, und ich dachte... Um ehrlich zu sein, ich wollte mit dir etwas bereden.«
»Hat das nicht bis morgen Zeit?« Burden meinte, diese Gespräche zu kennen. Es ging immer um die Kinder, genauer, um die psychologischen Probleme der Kinder oder das, was Grace für diese Probleme hielt: Pats angebliche Flatterhaftigkeit und Johns Abblocken bei seiner Mathematik. Als hätten nicht alle Kinder solche Schwierigkeiten; sie waren ein Teil des Erwachsenwerdens, er hatte sie zu seiner Zeit, und sicher auch Grace zu ihrer, ohne tägliche Analyse zufriedenstellend gemeistert. “Ich werde versuchen, morgen abend dazusein«, erklärte er schwach.
»Das«, erwiderte Grace, »sagst du jedesmal.«
Sein schlechtes Gewissen hielt ungefähr fünf Minuten an. Es war längst vergessen, als er die Außenbezirke von Stowerton erreichte. Burden mußte noch lernen, daß die Vorfreude auf sexuelle Genüsse die mächtigste Zerstörerin des Gewissens ist. Er fragte sich, weshalb er so wenig schuldbewußt war, weshalb Graces Vorwurf ihn nur momentan getroffen hatte. Ihre Worte - oder das, woran er sich erinnern konnte - waren zu bedeutungslosen und automatischen Ermahnungen geworden, wie sie ein Lehrer vielleicht früher mal ausgesprochen haben könnte. Grace bedeutete für ihn nicht mehr als eine Behinderung, eine ärgerliche Macht, die sich mit Arbeit und anderen nutzlosen, zeitraubenden Dingen verbündete, um ihn von Gemma fernzuhalten.
Heute abend kam sie ihm an der Tür entgegen. Er war darauf vorbereitet, daß sie von dem Kind und
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