Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
ja vergessen würde, daß er je existiert hatte in ihrer kleinen Welt, die nur für eine Frau und ihr Kind gemacht war.
Er stand auf und zog sich an. Dann küßte er sie, es sollte nur ein zärtlicher Kuß sein, doch er wurde leidenschaftlich, weil er nicht anders konnte. Und er wurde von ihr mit einem ebenso langen und leidenschaftlichen Kuß belohnt. Damit mußte er zufrieden sein; damit und mit dem zerknüllten Chiffontuch, das er aufhob, als er das Zimmer verließ.
Wenn sein Haus nur leer wäre, überlegte er auf der Heimfahrt. Nur heute nacht, sagte er sich schuldbewußt. Wenn er nur in Leere und Sorge versinken könnte, frei von Graces sanften, energischen Anforderungen und Pats Luftschlössern und Johns Mathematik. Aber wenn er in ein leeres Haus führe, dann würde er gar nicht fahren.
Grace hatte gesagt, sie wolle etwas mit ihm besprechen. Die Aussicht darauf war so trübe und so langweilig, daß er sich verbot, Mutmaßungen darüber anzustellen. Warum sollte er ein Leiden zweimal ertragen? Er hielt sich zum Trost das duftende Tuch ans Gesicht, bevor er das Haus betrat, doch statt Trost bewirkte es nur Sehnsucht.
Sein Sohn saß über den Tisch gebeugt, unbeholfen mit einem Kompaß hantierend. »Old Minty«, sagte er, als er seinen Vater sah, »hat uns erzählt, daß ‘mathema’ Wissen heißt und’pathema’ Leiden, da hab ich vorgeschlagen, man könnte das Fach doch >Pathematik< nennen.«
Grace lachte ein bißchen zu schrill. Sie hatte hektische Flecken auf den Wangen, fiel Burden auf, als sei sie aufgeregt oder ängstlich. Er setzte sich an den Tisch, zeichnete ordentlich Johns Diagramm und schickte ihn ins Bett. »Ich könnte auch mal früh schlafen gehen«, meinte er hoffnungsvoll.
»Nur zehn Minuten, Mike. Ich möchte - da ist etwas, was ich dir sagen möchte. Eine Freundin hat mir geschrieben, wir waren zusammen in der Ausbildung.« Grace klang jetzt extrem nervös, so ganz entgegen ihrer sonstigen Art, daß Burden etwas unbehaglich zumute wurde. Sie hielt den Brief und schien ihn ihm zeigen zu wollen, änderte jedoch ihr Ansinnen und behielt ihn fest in der Hand. »Sie hat plötzlich Geld bekommen und möchte ein Pflegeheim aufmachen, und sie...« Die Worte kamen in einem sich überstürzenden Schwall heraus. »... sie möchte gern, daß ich mitmache.«
Burden wollte gerade ein gelangweiltes: »Oh, das ist aber nett« einwerfen, als ihm plötzlich die tatsächliche Bedeutung ihrer Worte bewußt wurde. Der Schock war zu groß, um noch höflich oder vorsichtig sein zu können. »Was wird aus den Kindern?« sagte er.
Sie antwortete nicht unmittelbar. Sie ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen wie eine müde alte Frau. »Wie lange dachtest du denn, daß ich bleiben würde?«
»Ich weiß nicht.« Er hob hilflos die Hände. »Bis sie für sich selber sorgen können, nehme ich an.«
»Und wann wird das sein?« Sie glühte jetzt und war ärgerlich, ihre Nervosität wurde von Empörung weggewischt. »Wenn Pat siebzehn ist, oder achtzehn? Dann bin ich vierzig.«
»Vierzig ist nicht alt«, meinte ihr Schwager matt.
»Vielleicht nicht für eine berufstätige Frau, eine Frau mit einer Karriere, an der sie immer gearbeitet hat. Wenn ich hier noch weitere sechs Jahre bleibe, dann kann ich jede Karriere vergessen, dann kann ich froh sein, wenn ich als Schwester irgendwo in einem Landkrankenhaus angestellt werde.«
»Aber die Kinder?« sagte er wieder.
“Schick sie aufs Internat«, sagte sie mit harter Stimme. »Physisch kümmert man sich dort genauso gut um sie wie hier, und was die andere Seite ihres Lebens angeht, was kann ich da schon allein ausrichten? Pat kommt langsam in ein Alter, wo sie sich gegen ihre Mutter oder jeden Mutterersatz wenden wird. John hat mich nie sonderlich gemocht.
Wenn dir der Gedanke ans Internat nicht gefällt, dann bewirb dich um eine Versetzung nach Eastbourne, da könnt ihr alle bei Mutter wohnen.«
»Da hast du mir ja ganz schön eins vor den Bug gegeben, Grace, nicht wahr?«
Sie war den Tränen nah. »Marys Brief ist gestern erst gekommen. Ich wollte gestern mit dir reden, ich habe dich gebeten heimzukommen.«
»Mein Gott«, sagte er, »das darf doch nicht wahr sein. Ich dachte, es gefällt dir hier. Ich dachte, du liebst die Kinder.«
»Nein«, erwiderte sie wild und sah plötzlich so leidenschaftlich und empört aus wie Jean bei einer ihrer seltenen Streitereien. »Du hast niemals auch nur im mindesten an mich gedacht. Du - du hast mich gebeten, herzukommen
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