Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
schön«, sagte er abweisend. »Leider habe ich dafür zuviel zu tun.«
»Sie hat auch niemand gefragt«, schnauzte ihn Wexford an. Dann schmunzelte er. »Wohl dem, Mike, der nicht sitzt, wo die Spötter sitzen.«
»Na, für gewöhnlich sitzen Sie hier, Sir«, erwiderte Burden zugeknöpft.
Es war merkwürdig, wie in letzter Zeit alles Burden in die Hand nahm, dachte Wexford, als er sich an die Brücke über den Kingsbrook lehnte und wartete, bis das Olive and Dove öffnete und Marriott kam. Wenn er auf die Ermittlungen der vergangenen Woche zurückblickte, hatte er den Eindruck, daß die meisten Nachforschungen Burden durchgeführt hatte, während er sich von Marriott Geschichtchen erzählen ließ. Vielleicht war das übertrieben. Aber wie sich immer mehr herausstellte, hatte Burden mit seinen Hypothesen richtig gelegen. Zum Beispiel, daß es kein vorsätzlicher Mord war, daß Nelleke auf eine Heirat mit Nightingale aus und Georgina Villiers nur eine nette, normale Frau war. Bestimmt würde er schon bald auch mit einer Erklärung für das Geheimnis aufwarten und mit einer anderen für Seans nicht vorhandenes Alibi. Er schnippte ein abgesprungenes Stückchen Stein vom Brückengeländer ins Wasser. Unsere Jünglinge sollen Gesichte sehen, dachte er, und unsere Alten sollen Träume haben...
»Ich gäb was dafür, wenn ich wüßte, woran du jetzt denkst«, sagte Marriott und tippte ihm auf die Schulter.
»Ich dachte daran, daß ich alt werde, Lionel.«
»Aber du bist doch so alt wie ich!«
»Ein bißchen jünger, glaube ich«, verbesserte Wexford ihn. »Mir ist gerade eingefallen, daß es in diesem Fall nur so von Menschen wimmelt, die für andere Menschen zu alt sind. Das ruft mir ins Gedächtnis, daß ich älter bin als sie alle.« Er blickte zu dem heiteren Himmel über Sussex auf, der sich wolkenlos und strahlend über ihm wölbte. »Ein alter Mann in einem Monat ohne Regen«, sagte er. »Ein alter Mann an einem Fall ohne Hoffnung...«
»Aber kein altes Hotel mit einer Bar ohne Whisky«, tröstete ihn Marriott. »Na los, Gerontius, trinken wir einen.«
An sonnigen Tagen konnten die Gäste des Olive die Drinks im Garten einnehmen. Es war ein staubiger kleiner Garten mit kümmerlichen Gewächsen, doch wie die meisten Engländer hielten es auch Wexford und Marriott fast schon für ihre Pflicht, bei Sonnenschein an den kleinen Tischen im Freien zu sitzen, denn schönes Wetter gab es so selten und immer nur so kurze Zeit.
»Aber ich habe dir doch schon alles erzählt, Reg«, sagte Marriott. »Mehr gibt es einfach nicht.«
»Und das aus deinem Munde?«
»Leider ja, es sei denn, ich soll die Sache mit meinen eigenen Gedanken ausschmücken.«
Wexford fischte ein Blatt aus seinem Glas und blickte ungehalten zu dem Baum auf, von dem es abgefallen war. In schneidendem Ton fragte er: »Hältst du es für möglich, daß Villiers homosexuell ist?«
»Du meine Güte, das glaube ich kaum.«
»Dennoch hast du gesagt, daß er in der Zeit zwischen den beiden Ehen keine Freundinnen hatte.«
»Aber auch keine Freunde.«
»Nein? Und was ist mit Quentin Nightingale?«
»Quentin ist bestimmt nicht homosexuell. Ich habe den starken Verdacht, daß er hinter dieser kleinen Holländerin her ist. Er ist total verknallt in sie, wenn du mich fragst. Ich gebe zu, daß Denys nur mittelprächtige Zuneigung für seine Ehefrauen empfand, doch Quentin war in Elizabeth verliebt, als er sie kennenlernte, und jetzt ist er wieder verliebt.«
Wexford wollte Nightingales vertrauliche Mitteilung nicht einmal durch ein zustimmendes Nicken verraten. “Ich habe mir überlegt, ob Elizabeth vielleicht von der Homosexualität ihres Bruders wußte und ihn dafür haßte, jedoch bereit war, fast alles zu tun, um es geheimzuhalten.«
»Bloß verstehe ich dann nicht, weshalb sie deshalb ermordet werden sollte.«
Als er sein Glas austrank, entschied sich Wexford, Marriott gegenüber kein Sterbenswörtchen über das erpreßte Geld verlauten zu lassen. “Nein, wahrscheinlicher ist, daß sie mit einem Mann im Wald gesehen wurde und die Person, die sie beobachtet hat, zu ihrem Mörder wurde. Nachdenklich fügte er hinzu: »Mein kleiner Minnesänger, der einzige echte Nightingale in Myfleet.«
In übereifrigem Ton sagte Marriott: »Vielleicht ist er ein uneheliches Kind von Quen. Will Palmer sagt doch immer: Einen Vater hat der nie gehabt. Wie steht’s damit?«
»Was hast du in letzter Zeit gelesen?« grollte Wexford. »Mrs. Henry Wood? Die
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