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Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht

Titel: Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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wie alle Kinder wußte Pat Erwachsene zu schätzen, die sich bemühten.
    »Sieh dir bloß mal das niedliche Gesichtchen an.«
    »Ja. Ich hoffe, sie kann sich noch verpuppen, bevor die Blätter fallen. Daddy kommt nicht zum Abendessen.«
    Pat zuckte gleichmütig die Schultern. Sie hatte im Moment nicht sonderlich viel für ihren Vater übrig. Er hatte ihre Mutter mehr geliebt als sie, soviel wußte sie jetzt, und daß er sie eigentlich nun besonders liebhaben müßte, um ihren Verlust wiedergutzumachen. Ein Lehrer in der Schule hatte ihr gesagt, das täten alle Väter. Sie hatte gewartet, aber er hatte es nicht getan. Schon immer war er oft spät von der Arbeit nach Hause gekommen, aber jetzt blieb er fast die ganze Zeit weg. So hatte sie ihre schlichte, tierhafte Liebe auf Tante Grace übertragen. Es wäre nett, dachte sie bei sich, wenn John und ihr Vater fortgingen und sie und ihre Tante allein ließen. Dann könnten sie beide es wirklich schön haben und noch bessere und sogar seltenere Raupen sammeln und Bücher über Naturgeschichte und Naturwissenschaften und das Bolschoi-Ballett lesen.
    Sie setzte sich neben ihre Tante an den Tisch und fing an von der Schinken-Geflügel-Pastete zu essen, die genauso schmeckte wie die von ihrer Mutter.
    Ihr Bruder sagte: »Wir haben heute in der Schule über die Gleichheit der Geschlechter diskutiert.«
    »Das ist ein interessantes Thema«, meinte Grace. »Was hast du dazu gesagt?«
    »Ich habe das Reden den anderen überlassen. Eins habe ich aber gesagt, daß weibliche Gehirne weniger wiegen als männliche.«
    »Tun sie gar nicht«, widersprach Pat.
    »Doch, tun sie. Stimmt’s, Tante Grace?«
    »Stimmt leider«, sagte Grace, die Krankenschwester gewesen war. »Das heißt aber nicht, daß sie nicht genauso gut sind.«
    “Ich wette«, meinte Pat mit einem rachsüchtigen Blick auf ihren Bruder,”ich wette, meins wiegt mehr als deins. Mein Kopf ist größer. Und überhaupt, das ist alles langweilig, Diskussionen und so’n Zeug. Nur Gerede.«
    “Komm, Schatz, iß deine Pastete.«
    »Wenn ich groß bin«, sagte Pat und fing damit ein Dauerthema an, »dann werde ich nicht reden und diskutieren und all so öde Sachen. Ich mache meinen Abschluß - nein, vielleicht warte ich doch lieber, bis ich meinen Doktor habe - und dann gehe ich nach Schottland und erforsche die Lochs, alle ganz tiefen Seen, und dann entdecke ich die Monster, die da drin leben, und dann...«
    »Es gibt keine Monster. Sie haben gesucht und nie eins gefunden.«
    Pat beachtete ihren Bruder nicht. »Ich werde Taucher haben und ein Spezialboot und eine ganze Mannschaft, und Tante Grace sorgt für uns alle und kocht für uns.«
    Ein heftiger Streit entbrannte daraufhin zwischen den beiden. Es konnte durchaus so kommen, dachte Grace. Das war das Schreckliche, es konnte durchaus so kommen. Manchmal sah sie es vor sich, wie sie weiter hier lebte, bis die beiden erwachsen waren und sie alt und Pats Haushälterin. Wozu sonst würde sie dann sonst schon noch taugen? Und was spielte es für eine Rolle, ob ihr Gehirn weniger oder mehr oder genauso viel wog wie das eines Mannes, wenn es in einem kleinen Haus im tiefsten Sussex vor sich hin schrumpfte?
    Bei Jeans Tod war sie als Schwester in einem großen Londoner Lehrkrankenhaus gewesen und hatte ihre sechs Wochen Jahresurlaub genommen, um herzukommen und sich um Mike und seine Kinder zu kümmern. Nur sechs Wochen wollte sie bleiben. Man verbrachte nicht Jahre seines Lebens mit Ausbildung, nahm Gehaltseinbußen in Kauf, um weitere Qualifikationen zu erwerben, ging zwei Jahre in die USA, um in einer Bostoner Klinik die neuesten Geburtshilfemethoden zu lernen, nur um dann alles aufzugeben. Im Krankenhaus hatte man ihr gesagt, sie solle nicht gehen, aber sie hatte nur gelacht. Doch aus den sechs Wochen waren sechs Monate geworden, dann neun, zehn, und nun war ihre Stelle im Krankenhaus besetzt.
    Gedankenvoll betrachtete sie die Kinder. Wie konnte sie sie jetzt im Stich lassen? Wie konnte sie auch nur daran denken, sie in den nächsten fünf Jahren zu verlassen? Und selbst dann wäre Pat erst sechzehn.
    Es war alles Mikes Fehler. Scheußlich, so zu denken, aber wahr. Andere Männer verloren auch ihre Frauen. Und andere Männer fanden sich damit ab. Mike konnte sich bei seinem Gehalt und seinen Beihilfen eine Haushälterin leisten. Und es war nicht nur das. Ein Mann von Mikes Intelligenz sollte sich klarmachen, was er ihr und den Kindern antat. Sie war auf seine Einladung hin

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