Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
Ihres Sohnes und irgendein Kleidungsstück, das er kürzlich getragen hat.«
Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an, als sei er ein Hellseher, der den Aufenthaltsort des vermißten Jungen durch Betasten seiner Kleider herausfinden konnte.
»Für die Hunde«, sagte er leise.
Sie ging nach oben, und er hörte sie fieberhaft Schubladen aufziehen und wieder zuschieben. Ja, genau, dachte er, dies war ziemlich sicher ein unordentliches Haus, wo nichts an seinem Platz lag, nichts zur Hand war, wenn man es brauchte. Sie kam im Laufschritt zurück, im Arm einen grünen Schulblazer und die Vergrößerung eines Schnappschusses. Burden sah sich das Foto an, während er die Straße entlangeilte. Es zeigte ein großes, kräftiges Kind, weder besonders sauber noch besonders ordentlich, doch unzweifelhaft schön mit dem vollen hellen Haarschopf und den großen dunklen Augen.
Die Männer, die gekommen waren, um nach ihm zu suchen, standen grüppchenweise herum, einige auf dem Schaukelplatz, einige um die Polizeiwagen. Es waren sechzig oder siebzig Leute, Nachbarn, Freunde und Verwandte von Nachbarn und andere, die von weiter her auf Fahrrädern gekommen waren. Die Geschwindigkeit, mit der sich solche Nachrichten verbreiten, verblüffte Burden immer wieder. Es war kaum sechs Uhr. Die Polizei war selbst erst vor einer guten halben Stunde benachrichtigt worden.
Er ging auf Sergeant Martin zu, der offenbar mit einem der Männer einen Disput hatte, und übergab ihm das Foto.
»Was war denn da los?« wollte Wexford wissen.
»Der Kerl hat gemeint, ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern, bloß weil ich ihm geraten habe, festere Schuhe anzuziehen. Das ist eben der Nachteil, wenn man die Öffentlichkeit beteiligt. Die denken immer, sie wissen alles am besten.«
»Wir kommen ohne sie nicht aus, Sergeant«, bellte Wexford. »Bei so was brauchen wir jeden verfügbaren Mann, ob Polizist oder Zivilist.«
Die beiden fähigsten und erfahrensten Mitglieder der Suchmannschaft gehörten genaugenommen in keine der beiden Kategorien. Sie saßen etwas abseits von den Männern und beäugten sie mit milder Herablassung. Das Fell der Labradorhündin glänzte in der sinkenden Sonne wie Satin, doch der dichte Pelz des Schäferhundes wirkte stumpf und rauh und wölfisch. Mit einer kurzen Warnung an die Adresse des Mannes, den Sergeant Martin eben wegen der Schuhe zurechtgewiesen hatte, den Hunden nicht zu nahe zu kommen - er schien drauf und dran, den Schäferhund zu streicheln -, reichte Wexford dem Führer des Labradors den Blazer.
Während die Hunde das Kleidungsstück mit geübten Nasen beschnüffelten, teilte Martin die Männer in Suchtrupps zu je etwa einem Dutzend ein und ordnete jedem einen Führer zu. Es gab zu wenige Taschenlampen für alle, und Wexford verfluchte die Jahreszeit mit der trügerischen Tageshitze und den kühlen Nächten, die so plötzlich hereinbrachen. Dunkle Wolkenfinger schoben sich bereits über den roten Abendhimmel, und scharfer Frost lag drohend in der Luft. Noch bevor die Suchtrupps den Wald erreichten, der wie ein schwarzer, haariger Bär über den Feldrändern hockte, würde die Dunkelheit hereingebrochen sein.
Burden beobachtete die kleine Heerschar, wie sie den Spielplatz betrat und ihre lange Suche begann, die sie bis Forby und noch weiter führen würde. Über dem Wald erschien ein kalter, ovaler Mond, der erst vor einigen Tagen voll gewesen war. Wenn er doch nur hell scheinen würde, unbehindert durch die blauschwarze, ziehende Wolke, das wäre eine größere Hilfe als all ihre Taschenlampen.
Die Frauen aus der Fontaine Road, die an ihren Gartentörchen gestanden hatten, um dem Abmarsch der Männer zuzusehen, gingen jetzt zögernden Schrittes zu ihren Häusern zurück. Jede von ihnen mußte befragt werden. Hatten sie etwas beobachtet? Jemanden gesehen? War heute irgend etwas Ungewöhnliches, etwas außer der Reihe geschehen? Auf Wexfords Anweisung begannen Loring und Gates eine Von-Haus-zu-Haus-Ermittlung. Burden ging zu Mrs. Lawrence zurück und folgte ihr ins Vorderzimmer voll häßlicher viktorianischer Möbel, passend zum Haus. Überall lagen Spielsachen, Bücher und Zeitschriften verstreut, und auch Kleidungsstücke, Schals und Tücher waren über den Möbeln verteilt. Ein langes Patchworkkleid auf einem Bügel hing von einer Bilderleiste.
Als sie die Stehlampe anknipste, wirkte der Raum noch schmuddeliger und unordentlicher und sie noch exotischer. Sie trug Jeans, eine Satinbluse und um den Hals
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