Der Liebe eine Stimme geben
hereinspazieren, wann immer er will, Tag oder Nacht. Was, wenn sie beschäftigt ist? Was, wenn der Zeitpunkt ungünstig ist? Was, wenn sie auch eine Affäre anfängt? Er kann nicht länger einfach so hereinschneien. Er ist ausgezogen. Sie hasst ihn dafür, dass er ausgezogen ist. Aber was sie am meisten quält, wenn sie sich einen ungeschützten und aufrichtigen Moment gestattet, während sie Kartoffeln schält oder aus dem Fenster sieht, ist der Gedanke, dass er irgendwann nie wieder zu dieser Haustür hereinkommen könnte.
»Kennst du sie?«, fragt Jill.
»Nein«, sagt Beth.
»Du warst noch nicht im Salt, um sie dir anzusehen?«, fragt Georgia.
»Gott, nein!«, sagt Beth.
»Ich würde ja unbedingt wissen wollen, wer sie ist. Du willst doch nicht in der Bank mit ihr in der Schlange stehen, ohne es zu wissen. Wir sollten alle zusammen hingehen und ihr böse Blicke zuwerfen. Petra, du und dein Hexendoktor, ihr solltet sie mit irgendeinem Fluch belegen«, sagt Georgia.
Sie lachen alle, Beth eingeschlossen, trotz ihres kläglichen Elends. Sie stellt sich eine Voodoo-Stoffpuppe vor, in einem winzigen schwarzen Salt-T-Shirt, mit Stecknadeln, die ihr in die Augen gestochen wurden. Jetzt kann sie den Wodka warm in ihrem Magen spüren, und ihr ist schwindelig im Kopf. Normalerweise würde sie sagen, sie hätte genug. Sie will sich am nächsten Morgen nicht hundeelend fühlen. Aber sie hat nicht gut geschlafen, und an den meisten Morgen fühlt sie sich sowieso hundeelend, also was soll’s. Und Petra wird sie nach Hause fahren. Sie schenkt sich ihr Weinglas mit Wodka nach.
»Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Vielleicht.«
»Wart ihr zwei denn bei einem Therapeuten?«, fragt Courtney.
»Nein.«
»Vielleicht solltet ihr das tun«, sagt Georgia. »Phil und ich waren bei Dr. Campbell. Er war gut. Na ja, so gut nun auch wieder nicht, ich meine, er hat uns nicht gerettet. Aber wir waren auch nicht mehr zu retten.«
Phil war Georgias zweiter Ehemann, der, den sie am meisten geliebt hat. Sie war viermal verheiratet. Ihre Freundinnen würden sagen, dass sie jetzt »zwischen zwei Ehemännern« ist, aber Georgia besteht darauf, dass sie »geschieden« ist. Ende der Geschichte. Unter einem Kühlschrankmagneten hat sie eine Post-it-Notiz auf Augenhöhe: NIE WIEDER HEIRATEN . Aber sie wissen alle, dass sie es wieder tun wird. Sie kann nicht anders. Sie ist eine hoffnungslose Romantikerin.
Als Hochzeitsplanerin für die Blue Oyster ist sie mindestens zwölf Wochen im Jahr zweimal die Woche umgeben von Bräuten, die aussehen wie Disney-Prinzessinnen in Vera Wang, Bräutigamen, die aussehen wie James Bond in Armani, einem »Ave Maria«, auf der Harfe gespielt (gesungen oder gespielt bei jeder ihrer eigenen vier Trauungen) – Hochzeiten, die bis ins kleinste Detail absolut perfekt sind. In jedem Sommer schwärmt sie jede Woche von der schönsten Hochzeitstorte, die sie je gesehen hat, dem elegantesten Brautstrauß, der je zum Altar getragen wurde, der bewegendsten Tischrede, die sie je gehört hat, die Augen weit aufgerissen und so aufrichtig und aufgeregt wie bei ihrem allerersten Brautpaar. Diese Hochzeiten sind nie ein alter Hut für sie. Für Georgia hält jede Hochzeit ihren eigenen echten Zauber bereit, einen Glauben an wahre Liebe und Schicksal und einen Gott, der ihre Seele durchdringt. Und dann überträgt sie diese ganze übertriebene Märchenromantik auf den nächsten ahnungslosen Typen, mit dem sie ausgeht. Und in null Komma nichts ist die Post-it-Notiz von ihrem Kühlschrank verschwunden, und sie hat wieder einmal einen neuen Nachnamen.
»Ich weiß nicht, ob er das überhaupt wollen würde«, sagt Beth.
»Willst du denn zu einem Therapeuten gehen?«, fragt Petra.
»Ich weiß nicht.«
»Willst du dich scheiden lassen?«, fragt Courtney.
»Ich weiß nicht.«
Beth weiß nicht, was sie will. Sie will, dass das hier ein ganz normaler Buchclub-Abend ist. Sie will Sake trinken und über Japan reden. Sie will nicht, dass das hier der Donnerstagabend ist, an dem sich alles offiziell und öffentlich verändert hat. Ihre Ehe, ihr Bilderbuchleben als Ehefrau und Mutter dreier Kinder auf Nantucket, ist jetzt vorbei. Ihre Ehe ist zerbrochen.
Ich bin zerbrochen , denkt sie.
Tränen treten ihr in die Augen und kullern ihr übers Gesicht. Georgia rutscht mit ihrem Stuhl zu Beth hinüber und legt den Arm um sie.
»Ich kann nicht glauben, dass es wirklich wahr ist«, sagt Beth, verlegen, vor allen anderen zu weinen, vor
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