Der Liebe eine Stimme geben
Glück, das in ihrem Lächeln lebendig ist.
Nach einer Stunde und 652 Bildern in der Kamera erklärt Olivia, dass sie fertig sind.
»Mädchen, geht ein paar Minuten mit Grover spazieren, während ich mit der Fotografin rede. Hier ist ein Tütchen.«
Beth folgt Olivia zu ihrer Kameratasche und dem Strandstuhl.
»Und, wann sind die Fotos fertig?«
»Ich rechne mit etwa sechs bis acht Wochen.«
»Wow, so lange?«
»Vielleicht früher, aber ja, vermutlich mindestens sechs Wochen.«
Zu ihrer eigenen Verblüffung und Freude war Olivia den ganzen Sommer über gut beschäftigt. Sie hat im Schnitt fünf Porträts pro Woche fotografiert, was heißt, dass sie damit tatsächlich ihren Lebensunterhalt verdient. Aber das Schneiden dieser Strandporträtsitzungen ist doch arbeitsintensiver, als sie erwartet hat, und jetzt ist sie deutlich im Rückstand. Die großen Familienporträts zu schneiden ist besonders zeitaufwendig. Sie hatte eine zweiunddreißigköpfige Familie, die sich zum fünfzigsten Hochzeitstag der Großeltern auf Nantucket traf. Diese Sitzung zu schneiden war ein Albtraum. Und jegliche Spuren des Alters bei all diesen Frauen zu löschen dauert seine Zeit.
»Und dann werden wir das Buch mit den Probeabzügen bekommen?«
»Ja, ich werde Ihnen den Link mailen.«
»Link?«
»Ja, das ist alles online.«
»Oh, das heißt, wir bekommen kein richtiges Buch zu sehen?«
»Nein, ich mache alles online.«
»Oh.« Beth klingt ein bisschen enttäuscht.
»Das ist wunderbar so. Es wird Ihnen gefallen. Sie können sich die Größe aussuchen, Schwarz-Weiß oder Farbe. Es ist leicht zu navigieren, aber wenn Sie irgendwelche Fragen haben, können Sie sich jederzeit gern an mich wenden.«
Olivia packt ihre Kamera ein und zieht den Reißverschluss zu. Sie klappt ihren Strandstuhl zusammen. Zeit zu gehen. Sie wird Beth gern per Telefon oder E-Mail an die Hand nehmen und jeden Schritt des Erwerbs mit ihr durchgehen, aber jetzt sind sie am Ende des persönlichen Teils ihrer Beziehung angelangt.
»Okay. Danke. Tut mir leid wegen Jessicas Schmollmiene.«
»Sie war gut. Sie wird wunderbar aussehen.«
»Ich glaube, sie war etwas aufgelöst, weil ihr Vater nicht dabei war. Wir haben uns in diesem Winter getrennt, und es war nicht leicht für die Mädchen.«
»Das tut mir leid.« Olivia steht da, die schwere Kameratasche über einer Schulter, den Strandstuhl unter den anderen Arm geklemmt.
»Für mich war es auch nicht leicht. Erleben Sie so etwas oft? Familien ohne den Vater?«
Verblüfft von irgendetwas Vertrautem in Beths Frage, hält Olivia in ihrer Hast, zu gehen, inne. Sie studiert Beths Miene, und sie erkennt es. Das Bedürfnis, sich normal zu fühlen. Der Wunsch, akzeptiert zu sein.
»Ständig«, lügt Olivia.
Beth lächelt dankbar.
Olivia spürt noch etwas anderes Vertrautes an Beth, aber sie kann es nicht genau benennen. Und dann, auf einmal, ist es da, als würde sie in einen Spiegel blicken. Einsamkeit. Olivia beschließt, mit Beth zu warten, bis ihre Töchter mit dem Hund wiederkommen.
Inzwischen ist der Himmel völlig bedeckt, und die Sonne ist kurz davor, unterzugehen. Die Luft ist merklich kühler als noch vor fünf Minuten. Beth schnappt sich ein Sweatshirt aus ihrer Tasche. Während sie es sich über den Kopf zieht, bemerkt Olivia ein Ehe-Selbsthilfebuch, das mit dem Titel nach oben in Beths Tasche liegt.
»Das ist mein Buch«, sagt Olivia laut, anstatt, wie sie es eigentlich vorhatte, zu sich selbst.
»Was?«
»Ich meine, ich war an der Herausgabe dieses Buchs beteiligt. Ich habe früher für einen Verlag gearbeitet.«
»Oh, ich habe es noch gar nicht gelesen. Es gehört einer Freundin.«
Beide Frauen stehen in verlegenem Schweigen da. Beth wendet sich um und sieht den Strand hinunter. Ihre Mädchen sind drei Punkte in der Ferne. Sie dreht sich wieder um und fährt mit den Zehen durch den Sand. »Sie waren in der Verlagsbranche tätig?«
»Vor fünf Jahren. Es kommt mir noch länger vor.«
»Ich weiß, es ist ein bisschen forsch von mir, aber ich schreibe an einem Buch. Es ist eine Reihe zusammenhängender Geschichten, oder vielleicht ist es auch ein Roman. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich würde sehr gern einmal einen Profi einen Blick darauf werfen lassen.«
»Oh, ich habe Selbsthilfebücher betreut, keine Belletristik –«
»Das macht nichts. Ich würde mich wirklich über Ihr Feedback freuen, wenn Sie Zeit haben.«
Außerhalb ihres Jobs hat Olivia noch nie angeboten,
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