Der Liebe eine Stimme geben
sich auch noch im Stich gelassen und manipuliert. Dieser Therapeut weiß doch nicht, was er tut!
Dr. Campbell kommt nicht wieder, und das Schweigen zwischen Jimmy und ihr zieht sich hin. Dr. Campbell ist gegangen, und das Schweigen dehnt sich aus, wird zu einer eigenen Präsenz im Raum, so echt und bedrohlich wie der Falke. Es hat seine eigenen bösen Augen, die sie verfolgen. In Dr. Campbells Abwesenheit aus dem Käfig entschlüpft, leckt es sich die Lippen und wartet auf den richtigen Augenblick, um zuzuschlagen. Das Schweigen zwischen Jimmy und ihr würde nichts lieber tun, als sie beide zu verschlingen, wie es das schon seit Jahren vorhat.
Schließlich, nach vermutlich nur ein paar Minuten, die Beth aber wie ihre ganze Sitzung vorkommen, kommt Dr. Campbell wieder, setzt sich in seinen Ledersessel und seufzt.
»Ich bitte um Entschuldigung. Die Hunde sind ausgebüxt. Also, gehen wir noch einmal durch, wo wir waren. Jimmy, Sie müssen sich gewollt fühlen und das Gefühl haben, dass Sie Beth glücklich machen. Beth, Sie müssen Jimmy vertrauen können, dass er, wenn er sich unglücklich fühlt, zu Ihnen kommen und darüber reden wird, und dass er Sie nie wieder betrügen wird. Ja? Klingt das fair?«
»Ich glaube nicht, dass man fairerweise sagen kann, dass Jimmy der Einzige ist, der sich nicht gewollt fühlt. Er hat mich betrogen. Das heißt nun wirklich nicht, dass er mich gewollt hat. Ich bin nicht losgezogen und habe einen anderen Mann ›gewollt‹.«
»Ja. Richtig. Okay, ergänzen wir das noch. Sie beide wollen sich gewollt, glücklich, sicher und geliebt fühlen, ja? Kann man das fairerweise sagen?«
»Ja«, sagt Beth.
»Ja«, sagt Jimmy.
»Dann werden wir genau daran arbeiten.« Dr. Campbell schlägt sich auf die Schenkel.
»Aber müssten sich diese Dinge nicht ganz natürlich ergeben, wenn man füreinander bestimmt ist?«, fragt Beth.
»Manches davon ergibt sich ganz natürlich, und manches erfordert Kommunikation und Bemühen.«
Jimmy niest. Beth sagt im Stillen Gesundheit und schenkt Dr. Campbell ein knappes, schüchternes Lächeln.
»Na schön.« Dr. Campbell sieht auf seine Armbanduhr. »Hier ist Ihre Hausaufgabe. Ich will, dass jeder von Ihnen sich vier Blatt Papier nimmt, eines für gewollt , eines für glücklich , eines für sicher und eines für geliebt , und ich will, dass Sie vier bestimmte Taten und Worte aufschreiben, die Sie sehen und hören müssen, um jedes dieser Dinge zu fühlen. Lassen Sie sich so viele einfallen, wie Sie können. Halten Sie nichts zurück.«
»Äh, aber, was meinen Sie denn damit?«, fragt Jimmy.
»Nun, diese vier Gefühle sind für Sie beide notwendig, aber sie bedeuten für Sie vermutlich verschiedene Dinge, wenn sie in die Tat umgesetzt werden. Zum Beispiel könnte ›sich geliebt fühlen‹ für Sie bedeuten, jedes Mal, wenn Sie von der Arbeit nach Hause kommen, eine Umarmung und einen Kuss von Beth zu bekommen. Es könnte Zigarren und Pantoffeln bedeuten. Es könnte Sex bedeuten. Für Beth könnte es dasselbe bedeuten, vermutlich nicht die Zigarre und die Pantoffeln, aber es könnte auch etwas anderes bedeuten. Liebe könnte sich für Beth darin zeigen, dass Sie die Wäsche erledigen oder sie zum Essen einladen.«
Beth nickt.
»Liebe, Glück, Sicherheit, sich gewollt fühlen – das sind die Grundlagen, richtig? Und weil sie nun einmal so grundlegend sind, gehen die Leute oft davon aus, dass sie sich von selbst einstellen sollten. Aber was Sie, Jimmy, selig macht, macht Beth vielleicht nicht glücklich. Wir sind alle verschieden. Wenn Sie nicht kommunizieren , auf welche spezielle und ganz eigene Weise Ihr Partner dafür sorgen kann, dass Sie sich geliebt und glücklich fühlen, dann kann der andere völlig am Ziel vorbeischießen. Und dann fühlen wir uns ungeliebt und unglücklich. Richtig?«
Jimmy nickt.
»Okay, das wär’s für heute. Gute Arbeit«, sagt Dr. Campbell.
Jimmy springt auf wie ein Schuljunge, der eben die Pausenglocke gehört hat. Er bezahlt Dr. Campbell in bar für die Sitzung, abzüglich der zwanzig Dollar für das frisch überfahrene Tier, während Beth sich aus ihrer Kuhle hochstemmt. Beth bedankt sich bei Dr. Campbell und lächelt, die Hände in die Taschen gesteckt, und sie und Jimmy gehen in die Auffahrt hinaus.
»Wie fandest du es?«, fragt sie, sobald sie sicher ist, dass sie außer Hörweite sind.
»Ich finde, dieser Typ ist seltsam.«
Beth lacht.
»Vermutlich hat er eine Therapie nötiger als wir beide«, sagt Jimmy
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