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Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Titel: Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbot
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mobilisierte alle Abwehrkräfte, verschränkte Arme und Beine, saß kerzengerade auf seinem Stuhl. Erwartete er jetzt eine Art Verhör? Sekunden wurden zu Minuten, quälendlang. Ich suchte nach einem Ausweg, einem Anfang.
    »Sie haben doch mal an einem Patent für eine Pistole gearbeitet. Was ist denn daraus geworden?«, fragte ich in die bedrückende Stille hinein. Volltreffer! Reichensteins Miene hellte sich merklich auf. »Ach, nichts. Aber …« Und dann begann er unvermittelt und ungefragt zu plaudern, berichtete über seinen Stundenjob in einem Metall verarbeitenden Betrieb, sein außerordentlich gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Chef, den Kollegen. Wir hatten jetzt ein gemeinsames Thema, das Eis war gebrochen. »Ich habe eine Erfindung gemacht und will es als Patent anmelden«, erklärte er stolz. Reichenstein beschrieb mir ausführlich und voller Enthusiasmus sämtliche technischen Details und berichtete sichtlich gerührt davon, dass die Maschine bereits in seiner Firma eingesetzt werde. Ich verstand von all dem nichts. Doch kam mir die Geschichte durchaus bekannt vor. Viele Jahre zuvor schon hatten Erfindungsreichtum und Experimentierfreude dieses Mannes Anlass zu wildesten Spekulationen gegeben. Er war sich und seiner Leidenschaft für Technik und Mechanik anscheinend treu geblieben. Vielleicht deshalb, weil er sich dabei nicht mit Menschen auseinandersetzen musste. Maschinen waren berechenbar, beherrschbar.
    »Wollen Sie mal sehen?« Nach einer ermüdenden Dreiviertelstunde nickte ich nur kurz, obwohl ich gar nicht wollte. Er führte mich in seinen kleinen Wohn- und Schlafraum, der voll gestopft war mit Büchern, offenbar größtenteils älteren Datums. Der Fernseher war eingeschaltet, es wurde die x-te Folge einer Vorabendserie gezeigt, die ich nicht kannte. Reichenstein nahm einige Werke aus den Regalen und las die Titel laut vor. Er war nun in seinem Element, ganz und gar. Er sprach ohne Punkt und Komma, machte keine Pausen, in denen ich hätte einhaken können. Endlich gingen wir zurück in die Küche.
    Draußen dämmerte es bereits, wir saßen jetzt im Halbdunkel. Reichenstein machte aber keine Anstalten, das Licht anzuknipsen. Eine etwas unwirklich anmutende, skurrile Situation: Zwei Fremde saßen sich in einer dunklen Küche gegenüber und belauerten sich. Denn es war bisher noch nicht zur Sprache gekommen, was besprochen werden musste. Auch ihm leuchtete ein, dass ich die weite Reise nicht unternommen hatte, bloß um zu palavern und Höflichkeiten auszutauschen. Ich entschied, den ersten Schritt zu tun, eine indirekte Verbindung herzustellen.
    »Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Frau, zu Ihren Kindern?«, fragte ich ihn. Reichenstein schaute zum Fenster hinaus, als würde er die Antwort irgendwo da draußen vermuten. »Nein«, gab er tonlos zurück. Damit war das Thema erledigt.
    Dann erzählte er von seinen Knasterfahrungen, die sich jedoch nur marginal von denen anderer Lebenslänglicher unterschieden. Seine Revisionsanträge waren allesamt abgeschmettert worden. Insbesondere die Einsamkeit habe ihm zugesetzt, nur von seiner Mutter sei er einige Male besucht worden, anfangs. Danach hatte sich niemand mehr an ihn erinnern, mit ihm abgeben wollen. Am 4. Juli 1990 sei er aus der Justizvollzugsanstalt Schwerte entlassen worden, mit gerade mal 800 Mark in der Tasche. Und doch war es dem vormals Verdammten und Ausgestoßenen im Laufe der Jahre gelungen, sich wieder unter die Menschen zu finden. Dafür verdiente er Respekt. Doch war mir Erwin Reichenstein weder sympathisch noch unsympathisch. Es war irgendwo dazwischen, im Niemandsland.
    »Ich weiß, was Sie glauben«, sagte er mit einem Mal. Ich zog die Augenbrauen hoch. »Aber ich war es nicht!« Obwohl sie mit keiner Silbe erwähnt worden waren, wusste ich, was er gemeint hatte – die »Liebespaar-Morde«. Er schien sich – wie in all den Jahrzehnten zuvor schon – hinter einer Demarkationslinie zu verschanzen. Und wenn jemand in diese emotionale Sperrzone eindrang, sagte er nur diesen einen Satz, der in seinem Munde die durchschlagende Wirkung einer Pistolenkugel entfaltete und den Gegner förmlich niederstreckte: »Ich war es nicht!«
    Ich sah ihm in die Augen. »Und die Sache mit Dr. Stürmann?« Er schüttelte den Kopf. »Büning hat gelogen.« Punkt. Wieder so ein Satz, der ihn unangreifbar, unverletzbar machte. Reichenstein schaute mich unverwandt an. Dann erzählte er mir eine Viertelstunde lang von seinen Erfahrungen mit den

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