Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
Bei jedem Verhör verlangte er Papier und Bleistift, um jedes Wort seiner Aussage mitschreiben zu können. Sein Misstrauen der Kripo gegenüber trug pedantische und pathologische Züge.
Obwohl Reichenstein keine Antwort schuldig blieb, konnte er eines nicht: eine plausible Erklärung dafür geben, warum er mit geladener Pistole im Wald, genau 24 Meter vor einem parkenden Wagen mit einem Liebespärchen, gestanden hatte. Sein lapidarer und immer gleicher Kommentar: »Das geht doch wohl niemanden etwas an, das ist meine Privatsache.«
Mittlerweile hatte man Reichenstein durch permanentes Nachfragen unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es nicht mehr nur noch um Jagdvergehen und Waffendelikte ging. Ohne konkret darauf angesprochen worden zu sein, versuchte er dennoch vorzubeugen: »Das passt ja alles wunderbar zusammen«, erklärte er. »Aber Sie irren sich, wenn Sie meinen, dass ich ein so brutaler Kerl bin. Bedenken Sie doch nur: Wenn ich ein so kaltblütiger Mörder wäre, dann hätte ich bestimmt den Oberjäger Spath erschossen, statt mich von ihm festnehmen zu lassen.«
Eine Überlegung, die nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen war. Franz Pöllinger aber war anderer Auffassung. In einem internen Vermerk schrieb er seine Sicht der Dinge nieder: »(…) Reichenstein mußte damit rechnen, bei einer Schießerei mit Spath den kürzeren zu ziehen. Denn obwohl Reichenstein ein ausgezeichneter Schütze ist, hätte er im Wald mit einer Pistole gegen das Gewehr Spaths auf verlorenem Posten gestanden. Wahrscheinlich wäre sein erster Pistolenschuß von etwa 15 Metern danebengegangen, und Spath wäre ihm im weiteren Verlauf des Schußwechsels mit einem Gewehr überlegen gewesen. Reichenstein ist aber viel zu vorsichtig, um ein solches Risiko einzugehen.
Ferner mußte er damit rechnen, daß die Insassen des Wagens seinen ersten Schuß hören würden. Er hätte darum kaum unbemerkt entkommen können, jedenfalls nicht, ohne das im Wald gefundene Beweismaterial zurückzulassen. Auf einigen der Beweismittel befanden sich noch seine Fingerspuren, die bald zu seiner Identifizierung geführt hätten. So dürfte Reichenstein das kleinere Übel gewählt haben. Er hat die Pistole 6 Meter weit ins Unterholz geworfen und sich wahrscheinlich darauf verlassen, daß der Förster ihn nach erfolgloser Taschendurchsuchung laufen lassen würde. Aber daß er noch ein Pistolenmagazin bei sich trug, dürfte Reichenstein in diesem Moment vergessen haben. Sonst hätte er es mit der Pistole weggeworfen.«
25
Am 16. Juni hatte es bereits eine »sensationelle Enthüllung« gegeben, natürlich in Bild: »Liebespaar-Mörder gefaßt«. Ein namentlich nicht genannter Kripobeamter war mit den Worten zitiert worden: »Es ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, daß es sich bei dem festgenommenen Arbeiter E. R. um den lang gesuchten Liebespaar-Mörder handelt.« Irgendjemand musste Interna ausgeplaudert haben. Denn diese Prognose hatte der Chefermittler höchstpersönlich formuliert, und die Presse war bis zu diesem Zeitpunkt offiziell noch gar nicht über diesen Verdacht informiert worden. Jetzt waren die Ermittler gehörig unter Druck geraten, die Bürger Düsseldorfs wollten aufgeklärt werden – und verlangten endlich nach jemandem, dem sie all ihre Wut und Verachtung entgegenschleudern konnten.
Doch den Fahndern war es nicht gelungen, neue Beweismittel zu finden oder den Verdächtigen zu einem Geständnis zu bewegen. Das Ergebnis der nahezu pausenlos durchgeführten Verhöre war mager. Am 22. Juni fand schließlich im Präsidium eine Pressekonferenz statt. Franz Pöllinger und seine Kollegen mussten Farbe bekennen. Um weiteren Irritationen vorzubeugen, hatte Pöllinger ein Bulletin vorbereitet, das jedem Journalisten ausgehändigt wurde. Demnach stand die Kripo vor folgender Situation:
»(…) Auf der einen Seite die bekannten beiden Doppelmorde. Sie stellen noch nie dagewesene Verbrechen eigener Art dar. Nicht zuletzt, weil sie kaum auswertbare Spuren hinterlassen haben. Im Fall Ingensandt/Mehnert lagen die Ermordeten in ihrem Pkw vier Wochen lang im Baggerloch. Im Fall Kortmann/Seiffert hüllte der unmittelbar nach der Tat einsetzende Schnee den Fundort der Leichen und alle Wege, die zu ihm führten, in eine weiße Schneedecke. In beiden Fällen fehlt die eindeutige Feststellung des Tatortes. Während die Aufklärung von derartigen Verbrechen manchmal auf Grund der Wechselbeziehung zwischen Tat und Täter möglich
Weitere Kostenlose Bücher