Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
»Dann kann er in aller Seelenruhe die noch vorhandenen Spuren beseitigen. Und wir kriegen den Kerl nie dran«, befürchtete Franz Pöllinger. Kripo-Chef Dr. Wehner forderte indes scharf und kategorisch: »Dazu darf es nie kommen!«
Auch das nordrhein-westfälische Innenministerium hatte den Verlauf der Ermittlungen mit Argusaugen verfolgt. Jahrelang war ermittelt worden. Aber außer einer Reihe von Verdächtigungen war dabei nichts herumgekommen. Ein kümmerliches Ergebnis, das einer Blamage gleichkam. Die »Liebespaar-Morde« waren mittlerweile auch zu einem Politikum geworden, das insbesondere zu Wahlkampfzeiten nach Lust und Laune instrumentalisiert werden konnte. Der Innenminister sah schließlich »Handlungsbedarf« und ordnete eine Neuorganisation der Mordkommission an. Mit frischen Kräften sollte das Unmögliche doch noch möglich gemacht werden.
Der glücklose Franz Pöllinger wurde geschasst. Dr. Wehner rekrutierte als neuen Kommissionsleiter einen Spezialisten »für Morde, die nicht aufzuklären sind«. Der Sherlock Holmes der westdeutschen Kripo hieß Mathias Eynck und war Chef der Todesermittler im Dortmunder Polizeipräsidium. Der ehemalige Infanterieoffizier und Vater von zwei Söhnen galt als »harter Hund«, der weder sich noch seine Mitarbeiter schonte. Die Kollegen schätzten an ihm besonders »seine Nase« und »seine Zähigkeit«, mit der er eine einmal aussichtsreiche Fährte konsequent verfolgte. Warum auch er einen Wechsel an der Spitze der Mordkommission für sinnvoll hielt, erläuterte der 51-Jährige in seinem ersten Interview: »Man stellt fest – wie ich das selber auch schon herausgefunden habe –, daß man etwas blind wird, wenn man sich allzu lange mit einem bestimmten Fall befaßt. Die Gedanken gehen ständig in eine gleiche Richtung, man besitzt nicht mehr die Frische, auf neue Ideen zu kommen. Man wird ›schal‹. Und das ist das Schlimmste, was einem Kriminalisten passieren kann. Wenn man Beamte auswechselt, besteht die Möglichkeit, daß sie etwas entdecken, das man selber übersehen hat.«
Eynck benötigte einen vollen Monat, um das gesamte Aktenmaterial zu studieren. Danach glaubte er die Kernproblematik dieses Verfahrens erkannt zu haben: Da war zunächst ein höchst unbequemer, sich vehement wehrender und drohender Verdächtiger, der sicherlich kein Geständnis ablegen würde, und da war die Vermutung, dass die Morde von zwei Männern begangen worden sein dürften. Eynck hielt es für »unmöglich«, dass ein Täter jeweils zwei Opfer hatte überfallen, kontrollieren und töten können. Und erfahrungsgemäß agierte dabei als Mittäter kein Fremder, sondern jemand, auf den man sich jederzeit verlassen konnte. Eben diese Täterkonstellation vermutete Enyck auch hier. Also musste es eine Verbindung zu dem Unbekannten geben, irgendwo in dem Beziehungsgeflecht, das Reichenstein umgab.
Auf Weisung des Hauptkommissars wurde nochmals der gesamte Bekanntenkreis Reichensteins »abgeklopft«. Von seiner Frau Klara, die von den kriminellen Aktivitäten ihres Mannes nichts zu wissen schien, erfuhren die Ermittler schließlich, dass ihr Mann sich häufig mit einem gewissen Fritz Büning getroffen hatte. Eynck ließ den Mann wochenlang überwachen, zog Erkundigungen über ihn ein. Die Fahnder bekamen heraus, dass Büning zwar wegen Wilderns schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, sonst aber einen einwandfreien Leumund hatte. Der 25-Jährige kam aus einer soliden, tief religiösen Familie. Sein Vater hatte vierzig Jahre lang unbescholten in einer Maschinenfabrik malocht, und es fand sich niemand, der über Büning oder seine Familie etwas Nachteiliges zu berichten wusste. Büning selber erklärte schließlich den Ermittlern: »Ich kenne den Erwin zwar, aber von seinem Lebenswandel habe ich nicht viel mitbekommen.«
Gerade als Eynck sich dazu entschließen wollte, diese scheinbar aussichtslose Spur zu vernachlässigen, machte er eine hochinteressante Entdeckung. Und plötzlich ergab alles einen Sinn.
II. Februar – April 1958
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Montag, 10. Februar 1958, 9.04 Uhr.
Eine ungewöhnliche Entdeckung machte die Besatzung eines Streifenwagens der Polizei in Opladen, einer damals etwa achtzehntausend Einwohner zählenden Kreisstadt zwischen Düsseldorf und Leverkusen: Ein grün-grauer Wagen hatte sich offenbar in einem Straßengraben festgefahren. Die linke Seitenscheibe war vollkommen zertrümmert. Und was die Beamten schließlich im Inneren des Wagens feststellten, zwang
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