Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
Zusammenhang mit dem Mord an Dr. Stürmann vermutet hatte, war die Pistole dem Bundeskriminalamt geschickt worden. Und das Ergebnis war einer Blamage ersten Ranges gleichgekommen: Mit dieser Waffe war Dr. Stürmann tatsächlich ermordet worden.
Der selbstständige Schrotthändler, mit kunstvoll gelegtem, geschniegeltem Haar und dezenten Koteletten, in engen grauen Hosen und blauem Sportsakko, war ein wichtiger Zeuge. Bolland erinnerte sich an den Tag, an dem er die Pistole entdeckt hatte: »Ich fuhr damals Schrott. Dabei besuchte ich regelmäßig auch eine Stelle, an der die in der Nähe wohnenden Siedler ihre Marmeladeneimer und altes Blechzeug abzuladen pflegten. Als ich einen solchen Eimer holen wollte, fand ich die in Lappen gewickelte Pistole.«
Der 69-Jährige, der Reichenstein seit Jahren kannte, wusste auch von dessen gesteigertem Interesse an der Pistole zu berichten: »Er bot mir erst 10 Mark, dann einen Kasten Bier und schließlich sogar 50 Mark für das Ding.« Er wollte Reichenstein jedoch mit der Bemerkung zurückgewiesen haben: »Erwin, nachher fängst du damit was an, und ich hänge mit drin.«
Als Dr. Näke dem Zeugen vorhielt, dass Reichenstein dieses Zusammentreffen bestreite, erklärte Bolland entschieden: »Ich kann das beschwören!«
Wenn die Zeugenaussagen stimmten, dann war somit nachgewiesen, dass Reichenstein die Tatwaffe vor und nach dem Mord besessen haben musste. Nur hatte die Sache einen Haken. Der Angeklagte galt als kaltblütiger, gerissener und umsichtiger Verbrecher, der bei seinen Taten keine oder kaum Spuren hinterlassen hatte. Und ausgerechnet dieser Mann sollte ein so entlarvendes und brisantes Beweismittel wenige Meter von seinem eigenen Haus entfernt versteckt haben – obwohl er wusste, dass dieses Gebiet regelmäßig von Schrotthändlern abgesucht wurde? Warum hatte Reichenstein die Tatwaffe nicht irgendwo in den Rhein geworfen und für immer aus der Welt geschafft? Warum dieses enorme Risiko? Zudem hatte Reichenstein auch Büning gegenüber immer wieder darauf bestanden, bei Überfällen niemals eine »heiße Knarre« zu benutzen. Die »08« war »heiß«. Was wollte Reichenstein noch damit? Oder hatte er etwa gar nicht gewusst, dass mit der Waffe Dr. Stürmann erschossen worden war?
Dann trat Horst Teikert, ein ehemaliger Arbeitskamerad Bünings, in den Zeugenstand und sagte, dass er die 08-Pistole »zum Reparieren« bekommen habe, und zwar Ende 1952. Allerdings nicht von Reichenstein, sondern von Büning. »Das ist die 08-Pistole, die Büning mir gebracht hat. Ich sollte ein neues Korn aufsetzen. Außerdem war der Griff beschädigt. Wir haben beide mit dem Ding mehrmals zur Übung im Fabrikhof geschossen.« Und der Zeuge machte kein Hehl daraus, dass Büning manches Mal »morgens erschöpft, übernächtigt und verdreckt« aus einem Waldstück gekommen sei.
Diese Aussage belastete Büning schwer. Denn der hatte stets behauptet, mit dieser Pistole »noch nie« geschossen zu haben. Der Zeuge wurde auf die juristischen Konsequenzen einer Falschaussage hingewiesen und musste unter Eid aussagen. Doch er blieb dabei: »Büning gehörte die Waffe, und wir haben damit geschossen.«
»Sie haben gehört, was der Zeuge ausgesagt hat«, wandte sich der Vorsitzende Büning zu. »Haben Sie vielleicht Reichensteins Pistole dem Zeugen einmal zur Reparatur gebracht?«
Wieder versagte das Erinnerungsvermögen des Angeklagten, als es eng für ihn wurde: »Ich weiß davon nichts.«
Also hatte Büning die Waffe vor dem Mord an Dr. Stürmann besessen – und nicht Reichenstein? Hatte Büning die Pistole in der Nähe von Reichensteins Haus versteckt, um ihn in Verdacht zu bringen? Oder gab es etwa zwei 08-Pistolen, die ähnliche Beschädigungen aufwiesen? Oder hatte sich der Zeuge einfach nur geirrt?
Die einzige unumstößliche Tatsache dieses Prozesstages schuf Dr. Hans Grathmann, Sachverständiger für Schusswaffen des Bundeskriminalamtes. Er sagte aus: »Es gibt keinen Zweifel, die am Tatort vorgefundene Hülse und das aus dem Kopf des Getöteten herausoperierte Geschoss können nur aus dieser 08-Pistole geschossen worden sein.«
Am nächsten Tag kommentierte die Neue Ruhr Zeitung das schwer zu durchschauende Prozessgeschehen: »Der Aufmarsch der langen Reihe von Zeugen brachte gestern eine bisher noch nicht gewohnte Spannung in den Schwurgerichtssaal. Bei Landgerichtsdirektor Dr. Näke waren zum erstenmal sichtbare Anzeichen von Nervosität zu verspüren. Reichenstein zeigt sich
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