Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
Wenn Sie die Wahrheit hören wollen: Ich habe kein Teil an diesen Taten.«
Und dann wurde »Leo« aufgerufen, der auch von den Pressevertretern mit Spannung erwartete »große Unbekannte« in diesem Prozess. Er galt als Zeuge der Anklage. Er war jener Mann, von dem Büning sagte, er habe ihn einmal »beim Beschleichen eines Liebespaares gestellt und verprügelt«; der Mann, den Reichenstein nach Bünings Behauptung »gut kannte«, weil er mit ihm »Liebespaare belauscht« habe. Nur Reichenstein selber hatte bisher alles bestritten: »Ich kenne den Mann überhaupt nicht.«
Franz Glasmacher war »Leo«. Der 54-Jährige konnte weder lesen noch schreiben, war elfmal vorbestraft, unter anderem als »Spanner«. Der groß gewachsene, bullig wirkende Mann mit der auffallend dunklen Stimme hatte mehrfach junge Pärchen begafft und dabei onaniert – und war auch kurzzeitig in Verdacht geraten, der »Liebespaar-Mörder« zu sein. Ein Bekannter hatte ihn »aus Rache« bei der Polizei angeschwärzt.
»Ich kenne beide«, begann Glasmacher und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Angeklagten. »Den da«, der Zeuge meinte Büning, »kenne ich von einer Schlägerei, den anderen habe ich am Rhein kennengelernt.« Ausführlich erzählte der Stuckateur eine diffuse Geschichte, die zu Reichenstein zu passen schien: »Wir sind immer unten an der Schnellenburg rumgelaufen und haben Liebespaare in ihren Autos belauert. Reichenstein sagte dann häufig, man müsste was erfinden, um den verdammten Kapitalisten, die die schönsten Mädchen in ihren Autos liebten, etwas ins Auto zu schmeißen, dass sie vernichten müsse.«
In etwa bestätigte Glasmacher dann auch die Schlägerei mit Büning, bei der er, der wesentlich Stärkere und Größere, den Kürzeren gezogen haben wollte. Er habe von Büning »ordentlich eins vor den Latz geknallt bekommen«. Er wollte dem Angeklagten die Tracht Prügel auch nicht weiter krumm genommen haben: »Der kannte halt ein paar Judogriffe, die ich nicht kannte.«
Gelächter im Saal.
Unmittelbar nach dieser Schlägerei sei Reichenstein – mit dem er auch vorher zusammen gewesen sei – wieder hinzugekommen und habe gesagt: »Den kenne ich nur flüchtig. Das ist ein Schläger aus der Altstadt!« Mehrmals wollte er mit Reichenstein unterwegs gewesen sein, gelegentlich auch am Wasserwerk am Rhein in Stockum: »Ich habe erst immer gedacht, das wär’n anständiger Kerl. Hab ja nicht gewusst, dass das so’n Lump ist.«
»Was sagen Sie dazu, Angeklagter Reichenstein?«
»Entweder der Zeuge irrt sich oder er spinnt. Ich kenne den Mann nicht!«
Der Vorsitzende fragte jetzt den Zeugen: »Ist der Angeklagte Reichenstein der Mann, mit dem Sie die Pärchen beobachtet haben?«
Glasmacher schaute sich um und betrachtete den Angeklagten eine Weile. Dann antwortete er: »Kann ich nicht genau sagen.«
»Wie bitte?«
Der Mann wirkte ein wenig durcheinander. »Der sieht nicht so aus, wie der Mann auf den Bildern bei der Polizei.«
»Aber eben haben Sie doch noch erklärt, Sie würden beide Angeklagte kennen!«
»Ich weiß auch nicht …« Glasmacher wirkte jetzt überfordert. »Kann ich mich setzen?«
Dr. Näke machte eine entsprechende Handbewegung. Dann fragte er Büning: »Kennen Sie den Zeugen?«
»Ja, das ist das Schwein!«
»Herr Glasmacher, auf ein Wort! Kennen Sie den Reichenstein überhaupt?«
Der Zeuge kratzte sich am Kopf und meinte schließlich: »Wenn ich das so genau wüsste …«
»Sie sind aber nicht gerade der klassische Zeuge!« Dr. Näke konnte sich einen Seitenhieb in Richtung Staatsanwaltschaft nicht verkneifen. Schließlich seufzte der Vorsitzende, ein wenig erschöpft wirkend: »Herr Glasmacher, Häuser kann man auf Ihre Aussagen auch nicht bauen.«
Darauf der Zeuge: »Nee, Herr Richter, das können Sie auch nicht.«
Es brach ein kaum zu beruhigendes Gelächter im Zuhörerraum aus. Wenigstens die Prozessbeobachter kamen auf ihre Kosten. Das Fazit aus Sicht der Ankläger hingegen war desaströs: Ein dubioser Kerl hatte eine kuriose Geschichte zum Besten gegeben – Franz Glasmacher war als Zeuge eine glatte Niete. Und Reichenstein hatte wieder Boden gutgemacht.
Nach der Mittagspause berichtete der Revieroberjäger Erich Spath über seine unheimliche Begegnung mit Reichenstein am späten Nachmittag des 10. Juni 1956. Er sei an jenem regnerischen Sonntag auf der Pirsch auf »frische Spuren« gestoßen und habe sich gewundert, dass »bei diesem Wetter ein Mensch im Wald
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