Der Liebespakt
Fahrstuhlschachts ab. Wie sie erwartet hatte, war es ungeheuer dreckig hier. Maschinenöl, Dreck und Staub hatten einen dicken, jahrzehntealten Schmier auf dem Boden und an den Metallteilen gebildet. Dazu kamen zerknülltes Papier, ein alter Arbeitshandschuh, ein Taschentuch. Irgendetwas Kleines flitzte in die Ecke.
»Eine Maus«, murmelte Georg.
»Der Hausmeister hat mal gesagt, es wimmelt im Keller vor Mäusen«, sagte Toni. Dann entdeckte sie ihren Ring. Er lag etwas unglücklich rechts in der Ecke. Man konnte nicht einfach dorthin greifen - und hätte es bei dem Unrat auch kaum gewollt. Der Ring selbst glänzte wie eh und je. Der Sturz schien ihm nichts angehabt zu haben.
»Endlich hat sich das Palladium mal gelohnt«, witzelte Georg. Er nahm einen Draht aus dem Werkzeugkasten und bog ihn zurecht. Dann versuchte er den Ring zu fischen.
Sie mussten beide ran, erst Georg, dann Toni, dann wieder Georg. Es war so schwierig, an die Stelle heranzukommen, dass sie den Draht mehrmals umbiegen mussten. Es war wie bei einem Kinderspiel. Schließlich war es Toni, die sich den Ring schnappte. Der Fahrstuhl war inzwischen dreimal hoch- und wieder runtergefahren - aber das störte sie hier unten nicht weiter.
Vorsichtig schob Toni den Ring zur Luke hin, und als er greifbar war, ging Georg mit der Hand hinein und holte ihn raus. Sie jubelten beide kurz auf, Georg hauchte den Ring an und putzte ihn an seinem Hemd ab. Toni hielt dabei wieder die Taschenlampe. Sie sah, wie sein Hemd durch die Putzaktion dreckig wurde, aber es schien ihn nicht zu stören. Georg sah überhaupt total entspannt aus. Früher hatte er oft so ausgesehen.
Georg hielt den Ring in den Schein der Taschenlampe, untersuchte ihn von allen Seiten, ob irgendwo noch Dreck dranhing. »Sieht fast unbenutzt aus«, witzelte Toni. »Als würden wir gerade heiraten.«
»Gib mir deine Hand«, sagte Georg ernst.
»Was?«, fragte Toni.
»Ich will ihn dir anstecken.«
Toni leuchtete Georg schräg ins Gesicht. Das Licht der Taschenlampe war jetzt noch schwächer geworden. Georg sah aus wie im Dämmerlicht. Wie neulich im Park.
Er lächelte Toni an. »Es riecht nicht so gut wie damals in Las Vegas. Ein nach Babypuder duftender Elvis wäre mir lieber als dieser Gruftgeruch. Aber zumindest kann es von hier unten nur aufwärts gehen. Also …«, wiederholte er sanft, »… gib mir jetzt bitte deine Hand.«
Zögernd hielt Toni ihre Hand hin. Es war tatsächlich wie damals. Georg schob den Ring über ihren Ringfinger, der am mittleren Fingerknöchel kurz hängen blieb, sich dann aber tiefer ziehen ließ. Erstaunt beleuchtete sie ihre Hand mit Ehering, dann hob sie die Taschenlampe hoch und sah Georg ins Gesicht. Er lächelte immer noch.
»Was ist los? Ich bin etwas durcheinander. Mein letzter Stand war, dass wir uns in wenigen Wochen scheiden lassen«, sagte Toni.
»Also Scheidung stelle ich mir anders vor als Sex unter dem
Sternenhimmel. Toni, wie soll ich dir das erklären, ich bin irgendwie glücklich. Das hätte ich selbst vor einigen Wochen nicht für möglich gehalten, dass ich wieder gern mit dir zusammen sein könnte. Aber es ist so viel passiert in letzter Zeit, da …«
Toni unterbrach ihn. »Und mit Karoline? Bist du mit ihr nicht mehr glücklich?«
»Doch, ich war schon bis vor Kurzem glücklich mit ihr. Aber es war irgendwie auch - wie soll ich sagen: anstrengend.«
Toni schaute ihn forschend an. Sie schaute nicht abweisend, aber auch nicht wirklich freundlich. Eher abwartend. Sie verstand nicht recht, was Georg ihr sagen wollte. Das sagte sie ihm.
»Ich verstehe nicht, was du meinst. Mit mir bist du glücklich, aber mit ihr bist du auch glücklich?«
Als Topmanager hatte Georg durch einige gezielte Coachings gelernt, dass Menschen Bilder brauchen, um zu verstehen. Er überlegte kurz, dann sagte er:
»Lass es mich so ausdrücken, Toni: Warum einen Porsche haben wollen, wenn ich mit meinem Saab auch ans Ziel komme? Der Saab sieht gut aus, hat mehr Platz, mehr Komfort, das Fahren ist weniger schweißtreibend.« Spätestens bei dem Wort »schweißtreibend« merkte Georg, dass das Bild nicht so funktionierte, wie er sich das gedacht hatte. Er brach abrupt ab. Aber es war schon zu spät. Tonis Stimme hatte wieder die gewohnte Schärfe angenommen, die er viel zu oft in letzter Zeit gehört hatte. Die Dunkelheit verstärkte das noch. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, sie hielt die Lampe und leuchtete ihm jetzt direkt in die Augen. Wie bei einem
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