Der Liebespakt
Anwalt nehmen und einen Vertrag mit ihm schließen können, um danach die letzte Zeit ihrer Ehe abzusitzen und sich mit viel Geld ins Singleleben zu verabschieden. Eine wie Toni wäre nicht lange allein. Doch stattdessen dramatisierte sie das Ganze, wo es nur ging. Warum?
Vergiss, dass es Toni ist, ermahnte sich Georg. Die Frau, von der du dachtest, du kennst sie besser als jede andere. Sieh sie einfach nur als Frau. Als irgendeine Unbekannte. Georg lief jetzt dicht hinter ihr her, er hatte ihren Laufrhythmus übernommen, das Ehepaar setzte zeitgleich den linken und danach den rechten Fuß auf, Georg kroch fast in sie hinein und versuchte zu begreifen, was hier geschah. Er fuhr seine Antennen aus, als wäre sie eine Fremde, die er ansprechen wollte, und als würde er nun überlegen, wie gut seine Chancen standen und welcher Anmach-Typ sie wohl war. Und da sah er es. Er erkannte ihre Anspannung in der Nackengegend unterhalb des rötlichen Haaransatzes, dort, wo die Nackenmuskeln in die Schulter übergingen. Er merkte, wie angestrengt sie sich gerade hielt. Welche Kraft es sie kostete - dies alles, das ganze Theater. Er begriff, dass ihr strammer Gang die Entschlossenheit nur vortäuschte. Er begriff: Sie liebt mich noch. Die Antwort war ganz einfach. Toni war eine Frau, die unglücklich liebte. Und zwar ihn, ihren Mann.
Diese Erkenntnis löste im ersten unkontrollierten Moment etwas Unschönes in ihm aus, eine Mischung aus Mitleid und Ekel. Ein Mensch, den er schon hinter sich gelassen hatte,
konnte ihn nicht loslassen, während er längst zu neuen Zielen strebte. Jetzt musste er gezwungenermaßen umkehren und noch mal zurücklaufen und sich darum kümmern. Das machte ihn ungeduldig und ärgerlich, aber er durfte sich nichts anmerken lassen. Bis sie beim Auto angelangt waren, würde er seine Mimik wieder im Griff haben.
Als sie an der schweren Brandschutztür zum Parkhaus ankamen, griff er an ihr vorbei und hielt ihr die Tür auf. Sie schaute ihn nicht an. Schweigend gingen sie zum Kassenautomaten, schweigend zahlte Toni, schweigend liefen sie zum Auto. Die Garage war schlecht beleuchtet. Am Auto holte Toni den Schlüssel aus der Hosentasche und entriegelte die Tür. Da spürte sie seine Hand an ihrem Nacken. Im ersten Moment dachte Toni, mein Gott, jetzt werde ich tatsächlich wie in einem B-Movie in der Tiefgarage von meinem untreuen Mann erwürgt, dem ich im Wege stehe, und sie sah schon, wie er nach der Tat den Kofferraum aufklappte und ihre Leiche unwirsch hineinschob. Irgendein Körperteil verfing sich immer, ein Arm, ein Bein, der Mörder flucht und wird hektisch, dann ist alles verstaut, krachend wird die Heckklappe zugeknallt, das Auto rast mit quietschenden Reifen aus der Tiefgarage. Die Hand im Nacken zwang Toni, sich umzudrehen, Georg war jetzt ganz nah an ihrem Gesicht, er schob sie mit seinem Körper an das Auto, beugte sich vor, überwand sich und küsste seine Frau.
Es war kein romantischer, es war ein gieriger Kuss. Ein Kuss, bei dem beide immer wieder nachdrängen. War es Leidenschaft? Aufgestaute Wut? Diese Gefühle waren im Moment schwer auseinanderzuhalten. Toni wehrte sich und sie wehrte sich nicht. Es gefiel ihr, endlich wieder von Georg berührt zu werden, sie hatte eine so lange Zeit ohne Sex hingenommen. Nicht, dass sie das nicht aushielt. Aber toll fand sie es nicht. So hatte sie sich ihr 34. Lebensjahr nicht ausgemalt - als verstoßene Ehefrau, die
von ihrem Mann nicht mehr angerührt wird. Toni legte jetzt eine Hand auf Georgs Po und zog ihn dichter zu sich heran. Es gab keine Scham, man kannte sich im Bett, die beiden hatten sehr gern miteinander geschlafen. Georg merkte erstaunt, wie leicht ihm diese Knutscherei fiel, es machte sogar ein bisschen Spaß, aber darum ging es hier nicht. Also befreite er sich aus ihrer Umarmung, nahm ihr den Schlüssel ab und sagte mit pilotenmäßiger Wir-haben-die-Flughöhe-erreicht-Stimme: »Ich fahre.«
Toni ging widerstandslos rüber zur Beifahrerseite und setzte sich ins Auto. Sie verließen über eine Zubringerrampe das Flughafengelände und fuhren in Richtung Stadtautobahn. Georg überholte mehrere Taxis, darin saßen auch Geschäftsmänner, ähnlich angezogen wie er, in leichten Mänteln und Anzügen. Toni schaute sich im Vorbeifahren die Herren in den Taxis an. Einer las Zeitung, einer studierte Akten, und einer schaute sehnsuchtsvoll ihrem Jaguar hinterher. Aber wie schnell konnte das Jaguarleben vorbei sein und Georg fuhr auch wieder Taxi.
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