Der Liebespakt
ihrem Blick erfasst und nicht mehr losgelassen. Er sah es an der Art, wie sie ihn fixierte. Ein normaler Ehemann hätte jetzt versucht, diesen kleinen Flughafenflirt zu überspielen, er wäre zu seiner Frau hinübergeeilt und hätte sie in den Arm genommen. Doch Georg fühlte sich längst nicht mehr als Ehemann, er nahm nur Tonis kontrollierenden Blick wahr, der ihm zuwider war. Sie hatten als Bilanz eine ordentliche Ehe gehabt. Die ersten beiden Jahre waren perfekt gewesen, die zweiten beiden nicht der Rede
wert. Damit konnte man doch leben, oder? Warum konnten sie jetzt nicht einen Strich unter ihre Bilanz ziehen und sich sachlich trennen? Weil Toni eine Frau war. Und weil Frauen alles dramatisieren mussten.
Auch Toni sah ihren Mann kalt an und fragte sich, weshalb sie ihn so geliebt hatte. Und sie gab sich zur Antwort: Weil ich dachte - ein richtiger Mann. Einer, der die Kühlerhaube aufklappte und wusste, wo Vergaser und Lichtmaschine lagen. Aber wie hoch war der Preis? Jetzt durfte sie ihn dabei beobachten, wie er einer angetrunkenen Mallorca-Urlauberin hinterhersah und ihren Po fixierte. Man konnte ihm seine schlichten Gedanken - oder besser gesagt, Wallungen - vom Gesicht ablesen. Nie wieder würde sie sich auf einen einlassen, der sich im Motorraum auskannte. Ab jetzt kamen nur noch Männer infrage, die kaum den Tankstutzen führen konnte. Die standen in ihrer Entwicklung dem Höhlenmenschen deutlich ferner.
Das Ehepaar Jungbluth stand sich wie bei einem Duell gegenüber, zwischen ihnen lag die leere Flughafenachse, doch keiner bewegte sich auf den anderen zu. Die Economy-Mitreisenden von Georgs Flug strömten jetzt verstärkt mit ihren Koffern aus dem Gate heraus, zum Teil schwer beladen, denn sie hatten in Asien viel Elektronik und Markenmode eingekauft. Die Erfahrenen hatten vor dem Packen in Schanghai alle Etiketten, Preisschilder und Originalverpackungen entsorgt, sodass der Beamte vom Zoll, obwohl er emsig mehrere bunte Hartschalenkoffer untersuchte, zu seinem Unmut nichts zum Nachdeklarieren fand. Andere schoben glücklich am Zoll vorbei, ohne herausgewunken zu werden, und stießen nun vor dem Gate auf Georg, der als Hindernis im Weg stand und die Menge zwang, sich zu teilen. Hinter ihm fing man an zu schimpfen. Ein Mann fuhr ihm mit seinem Koffer über den Fuß, und Georg sah ihm an, das war kein Versehen, sondern eine Provokation.
Scheißlinienflüge, dachte er und spürte, wie ihn die Wut packte; am liebsten hätte er diesen Blödmann mit seinem blöden Rollkoffer herumgerissen und ihm eine verpasst, obwohl er so etwas schon seit Jahren nicht mehr getan hatte. Aber in letzter Zeit spürte er immer wieder Lust darauf. In diesem Moment zog ihn Toni aus der Menge.
»Ich riskiere doch nicht eine Menge Geld, weil mein bescheuerter Exmann sich vor aller Augen am Flughafen prügelt«, zischte Toni.
»Aber du hängst Wildvieh in mein Büro, du durchgeknallte Kuh«, flüsterte Georg zurück.
Zeitgleich sahen die beiden, dass sich ein Bekannter näherte, ein Topmanager eines anderen Konzerns. Man kannte sich flüchtig und grüßte einander beim Vorübergehen mit einem Kopfnicken.
»Guten Flug gehabt, Schatz?«, fragte Toni zuckersüß, als der Mann auf ihrer Höhe war.
»Danke, nur ein paar Turbulenzen über Russland«, antwortete Georg gut hörbar.
Danach gingen sie schweigend zum Auto, Toni vorneweg, Georg hinter ihr her. Er beobachtete seine Frau und ihren energischen Gang, wieder war sie ungewöhnlich angezogen. Sie trug zwar einen einfarbigen beigen Rollkragenpullover mit einer großen Kette aus grünen Glasperlen um den Hals, kombinierte das schlichte Oberteil aber mit einem stark gemusterten Rock, der auf ersten Blick an ein Tapetenmuster aus den 70er-Jahren, in Gelb-grün-blau von Emilio Pucci, erinnerte. Ein italienischer Modeklassiker. Der Tag war frühlingshaft warm, deshalb waren Tonis helle Beine heute ohne Strumpfhosen, wie bei den meisten Frauen, aber die Vintage-Dior-Pumps, die Toni vor Jahren in einem teuren Secondhandladen in der Nähe des Ku’damms gefunden hatte, machten ein wunderschönes Bein.
Während Georg hinter Toni herging, beobachtete er sie zum ersten Mal seit Längerem wieder bewusst. Wer war sie? Warum tat sie das alles? Nur Geld? Das konnte nicht sein. Da war mehr. Sie zog sich völlig anders an als früher, dann das opulente Essen im Birkenwald und die aufwendige Neudekoration des Büros. Das passte alles gar nicht zu ihr. Sie hätte sich einfach nüchtern einen
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