Der Liebespakt
Fiele Georg in der Gunst der anderen Konzernlenker, er hätte kaum Fürsprecher. Er wusste es. Er konnte es riechen. Er war nicht in die Welt der Wirtschaftselite hineingeboren worden, er gehörte zu den wenigen, die keiner auf der Rechnung gehabt hatte. Nie hatten seine Eltern Geld für teure Privatschulen oder Privatuniversitäten mit Wirtschaftsausrichtung ausgegeben, die im Portfolio versprachen, aus jedem ihnen anvertrauten Kind einen Kandidaten für die Chefetagen zu formen. Georgs Erfolg beruhte auf einer Mischung von Talent, ein, zwei richtigen Förderern im rechten Moment, auf schneller Auffassungsgabe und glücklichen Zufällen.
Ursprünglich war Georg Realschüler in einer kleinen süddeutschen Kreisstadt gewesen. Nach der Mittleren Reife hätte er in das Sägewerk seiner Eltern einsteigen sollen. Ein kleines
Sägewerk, das jedes Jahr kurz vor der Pleite stand. Dabei war damals Globalisierung noch ein unbekanntes Fremdwort gewesen, noch hielt der Eiserne Vorhang die osteuropäischen Billiganbieter vom westlichen Holzmarkt fern. Es waren nur Länder wie Norwegen und Schweden, die mit ihrem billigen Fichtenholz die Preise drückten. Im Vergleich zu dem, was kommen würde, ging es unter Geschäftspartnern noch gesittet zu. Doch für Georgs Familie war jetzt schon die Existenz bedroht. Alle waren in den Betrieb eingespannt - seine Mutter erledigte das Büro, seine große Schwester die Buchhaltung, sein Vater legte im Werk selbst Hand an, genauso wie nachmittags und in den Ferien Georg und seine kleine Schwester. Alle sehnten den Tag herbei, an dem Georg endlich voll im Betrieb einsteigen würde. Nicht weil er der einzige Sohn war, sondern weil die Familie spürte, dass Georg - was Geschäfte anging - ein Händchen hatte. Wenn einer das Familienunternehmen retten konnte, dann er. Georg selbst hatte das nie in Zweifel gezogen.
Eines Nachmittags war sein Klassenlehrer Dr. Klafke aus der Realschule zu seinen Eltern gekommen. Ein Mann, der damals in den 70er-Jahren die Realschule als Arbeitsort gewählt hatte, um Arbeiterkinder an das Gymnasium und weiter an die Universität zu führen. Ein Idealist, sagten die einen. Ein Spinner, sagten andere. Mit den Jahren war er zunehmend verbittert geworden. Erfolge wollten sich nicht recht einstellen. Aber nun hatte er in Georg endlich den ersehnten Schüler gefunden, der das Zeug für ganz oben hatte. Dr. Klafke hatte nicht vor, sich diese Chance entgehen zu lassen. Darum der Besuch bei Georgs Eltern, es war schon der vierte. Dr. Klafke bearbeitete Georgs Eltern, den Sohn auf das Gymnasium zu geben. Und nicht nur das, Klafke wollte mehr. Er wollte Georg einem bekannten Internat empfehlen, es lag zwar im selben Bundesland, aber nicht gerade in der Nähe des Elternhauses. Dr. Klafke stellte sogar
ein Stipendium in Aussicht, auch darum hatte er sich schon gekümmert. Georgs Eltern sträubten sich.
»Versündigen Sie sich nicht an Ihrem Sohn!«, hatte Klafke, eigentlich bekennender Atheist, beim letzten Besuch so laut gerufen, dass man es bis in die Werkshalle hören konnte. Nun also »versündigen«. Ohne es zu wollen, hatte er damit den wunden Punkt der Eltern getroffen. Als gläubige Katholiken nahmen sie sich ausgerechnet dieses pastorale Wort zu Herzen und ließen den Sohn ziehen.
Alle wussten, er würde niemals in den Familienbetrieb zurückkehren. Zwar zeigte Georg seiner Familie ein gewisses Entgegenkommen und ging nach dem Abitur ein halbes Jahr in die USA, in den waldreichen Bundesstaat Maine, um dort als Holzfäller in einem Holzcamp zu arbeiten, einfach, um internationale Erfahrung in der Holzbranche zu erwerben. Aber für den Familienbetrieb kam die Hilfe zu spät. Im selben Jahr mussten seine Eltern Konkurs anmelden. Seitdem bekam Georg bei jedem Besuch zu Hause zu spüren: Du bist keiner mehr von uns. Du hast uns im Stich gelassen. Sein Vater sprach kaum noch ein Wort mit ihm.
Toni hatte lange nicht mehr an Georgs Familie gedacht. Es gab ja kaum Kontakt. Natürlich war sie als Ehefrau nicht freundlich aufgenommen worden. Sie galt als Fremde, fremder noch als der fremd gewordene Sohn. Toni kannte Georg gut genug, um zu wissen, dass er mit dem Aufstieg zum Vorstandsvorsitzenden auch seinen Eltern etwas beweisen wollte. Sie sollten wieder stolz auf ihn sein. Er musste um jeden Preis Erfolg haben, um seiner Familie zu zeigen, dass ihr Opfer, ihn vom Sägewerk ziehen zu lassen, es wert gewesen war. Denn was bedeutete schon ein kleines Sägewerk im Vergleich zum
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