Der Liebespakt
Wasser oder grünen Tee. Er war ein Reiseprofi. Reisen machte ein Drittel seines Lebens aus. Und der Rest? Arbeiten nahm mehr als die Hälfte ein. Die wenige Zeit, die blieb, ging für Privatkram drauf. Er musste an Karoline denken.
Sie war vor zwei Tagen vorzeitig nach Hause geflogen, er hatte sie dazu gedrängt. »Toni flippt aus.« Gemeinsam fliegen schien jetzt einfach zu gefährlich. In einer Welt, die ständig unterwegs ist, trifft man auf Flughäfen schnell mal einen Bekannten. Wie hatte Toni nur herausgekriegt, dass Karoline ihn auf der Geschäftsreise begleitete? Womöglich hatte er irgendwelche Unterlagen zu Hause herumliegen lassen, Toni kam ja quasi an alle Informationen ran. Er hatte sich vorher nie richtig bewusst gemacht, wie viel Macht man einer Frau in die Hand gibt, wenn man sie zur Ehefrau nimmt. Was für ein Fehler! Mein Gott, ein Platzhirsch in seinem Vorstandszimmer! Er war noch immer fassungslos. Diese Sache mit den Birkenbögen und dem Hochzeitstag war schon unverschämt gewesen. Er hätte damals Toni noch deutlicher zur Rede stellen sollen, anstatt irgendwann wütend im Gästezimmer zu verschwinden. Sie machte ihn lächerlich. Und sie machte sich lächerlich. Karoline nannte
Toni nur noch eine Spinnerin. Erst recht, nachdem sie das neu gestaltete Büro gesehen hatte.
Bereitwillig hatte seine Geliebte für ihn nach ihrer Ankunft in Berlin spioniert. Sie ließ sich von ihrem Verlobten Tom das neue Büro zeigen. Der historische Einrichtungsstil war das Gesprächsthema im Konzern, genauso wie die spontane Stehparty danach. Karoline hängte sich sofort ans Telefon und erstattete ihm Bericht. Von der roten Wand, den schweren Sesseln, den - wie sie es nannte - antiken Tischchen und Vasen. Ganz ausführlich war sie bei der Kommentierung der Privatfotos, die gerahmt auf Georgs Schreibtisch standen. »Auch das scheußliche Hochzeitsfoto aus Las Vegas. Wie kann man nur so stillos heiraten?«, unkte sie, um danach ein absurdes Detail nach dem anderen aufzuzählen. Tonis gelb-weißes Vintage-Kleid im Stil der 60er-Jahre, das verdammt an Doris Day erinnere. Georgs geliehener Smoking, der mindestens eine Nummer zu groß sei. Der Elvis-Klon, die schlichte Dekoration der Kapelle, die ausgeflippten Pokermädchen und die dicke Frau mit Shorts im Hintergrund (Jeffs Frau), das … bis Georg sie ruppig unterbrach, weil es ihm zu viel wurde und er nur noch eine Frage beantwortet haben wollte. »Ist irgendwann das Wort Platzhirsch gefallen? Hat Tom vielleicht so etwas erwähnt?«
Endlich war Stille in der Leitung.
»Wieso Platzhirsch? Da hängt ein stinknormaler Hirsch an deiner Wand. So einer wie aus der Jägermeister-Werbung«, hatte Karoline geantwortet.
Was hatte sich Toni nur bei dieser Aktion gedacht? Er nickte dem Zollbeamten zu, der ihm kaum Aufmerksamkeit schenkte. Dann öffnete sich mit einem Surren die automatische Glastür, er verließ das Gate und stand sofort auf der Hauptachse des Berliner Flughafens. Eine Gruppe reiselustiger Mallorca-Touristinnen
schob mit ihren Rollkoffern an ihm vorbei und zwang ihn, stehen zu bleiben. Der ohrenbetäubende Lärm der billigen Plastikräder ihrer Koffer wurde von dem Geschnatter und Gekreische der Frauen übertönt, die sich offensichtlich vor dem Abflug eine Runde »Kleiner Feigling« genehmigt hatten. Eine von ihnen sah Georg an und knuffte dann ihre Freundin in die Seite, die erst aufschrie und ihn dann zögerlich anlächelte. Dieser Mann spielte in einer anderen Liga, die Frauen wussten das. Man sah es an seinem teuren, gut sitzenden Anzug, an seinem Haarschnitt, an der teuren Rindsledermappe unter seinem Arm. Ihre Kerle trugen Sporttaschen aus Ballonseide. Aber die eine, die ihre Augen nicht von Georg losreißen konnte, während sie den Rollkoffer an ihm vorbeizog, sah ein bisschen genauer hin als ihre Freundinnen. Sie spürte die andere Klasse, aber auch etwas Vertrautes. Nicht nur, weil in diesem gestylten Typen auch nur ein Mann steckte - ein gleichaltriger. Sie spürte, er war mal einer von ihnen gewesen. Georg schaute zurück, es entstand ein kleiner Flirt, aber dann spülte sie die Freundinnengruppe weiter in Richtung von Gate 16, von wo sie vermutlich abflogen, so oft, wie sie sich diese Zahl aufgeregt zuriefen.
Schlagartig war der Gang leer, der Lärm verebbte, Georg sah den Damen noch einen Moment lang nach, und als er den Kopf wandte, entdeckte er, dass dort an der Wand Toni lehnte. Sie hatte ihn vom ersten Moment an, als er hinaustrat, mit
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