Der Liebespakt
schon gespannt auf ihre Rückkehr warteten.
Der Earl of Rutherford hatte im oberen Stockwerk eine komfortable Zimmerflucht für sie und ihre Familie reservieren lassen. Der Salon und die beiden Schlafzimmer waren einladend eingerichtet, und es war sehr angenehm, dort zu wohnen, ganz im Gegensatz zu der kümmerlichen Bleibe in einem Elendsviertel im übervölkerten London, die noch vor wenigen Stunden ihr Zuhause gewesen war.
Als sie das Schlafzimmer zur Rechten betrat, warf sie nur einen kurzen Blick auf die kleine, zierliche Frau, die am Fenster stand, und trat schnell ans Bett. James saß halb auf, gestützt von einem halben Dutzend Daunenkissen, auf deren weiße Leinenbezüge seine kastanienbraunen Locken ein wenig Farbe zauberten. Seine blauen Augen funkelten aufgeregt, und jede angespannte Linie seines kleinen Körpers kündete von Erwartung. Ein leuchtendes Lächeln begrüßte sie. Von ihrem Platz vor dem Fenster machte Carolines Mutter zögernd einen Schritt vorwärts.
Doch dann hielt sie inne, als sie aufmerksam zu ihren Kindern hinübersah und ihre Tochter mit ruhiger Stimme willkommen hieß. Sie sagte und fragte nichts weiter. Caroline setzte sich auf die Bettkante. „Nun, wie geht es dir, Schatz?", fragte sie fröhlich und nahm die Hände des Siebenjährigen in ihre. „Du siehst gut aus. Hast du heute etwas gegessen?"
„Ich habe mich so gut gefühlt, dass ich eine ganz, ganz große Schüssel Haferbrei und sogar Käse gegessen habe!", antwortete James begeistert. Ein Zustand, der Caroline Freude bereitete. Sein Gesicht hatte einen Hauch von Farbe, und die dunklen Ringe unter seinen Augen waren entschieden verblasst. „Meinst du, die Aufregung hat mich so hungrig gemacht? Bitte, bitte, Caroline, erzähl mir doch endlich, was passiert ist. Bist du jetzt eine Countess?"
Ein Lachen unterdrückend nahm Caroline die Hände ihres Bruders in ihre. „Nein, James. So schnell geht das nicht. Aber das Gespräch mit dem Earl ist recht gut verlaufen." Sie sah kurz zu ihrer Mutter hinüber, die immer noch schweigend am Fenster stand, bevor sie weitersprach. „Sehr gut sogar. Der Earl sagte, er wolle noch unsere Familiengeschichte erforschen und meine Referenzen überprüfen lassen, aber ich denke, von allem anderen war er angetan."
Audrae Wembly schluckte und drehte ihnen den Rücken zu. Der blasse Junge sah kurz zu ihr hinüber, dann richtete er den Blick auf seine Schwester und sagte leise: „Sie weiß nicht, ob du glücklich oder traurig bist. Sie möchte nicht, dass du ihn nur heiratest, weil wir das Geld brauchen."
Bittersüße Empfindungen stiegen in ihr hoch. James brachte ebenso viel Schmerz wie Glück in ihr Leben, und sie liebte ihn von ganzem Herzen.
Oft neckte sie ihren Bruder damit, dass sie ihn „alter Herr" nannte, denn er war viel ruhiger, weiser und einfühlsamer, als Kinder seines Alters das üblicherweise waren. Möglicherweise lag das an seiner jahrelangen Krankheit, die er mit erstaunlicher Tapferkeit und Würde ertragen hatte. Seine Einfühlungsgabe beschämte und erstaunte seine Schwester immer wieder. Oft erschreckte sie sie auch, denn sie musste immer wieder denken - nur nachts und wenn sie besonders besorgt war-, dass ein Kind, so einzigartig und wundervoll wie James, viel zu vollkommen, viel zu kostbar und viel zu überirdisch war, als dass es lange auf dieser Welt weilen durfte. „Glücklich oder traurig?", erwiderte sie. „Hättest du Hawking Park gesehen, James, dann wüsstest du, dass es keinen Grund gibt, deswegen besorgt zu sein."
„Ist es sehr schön?", fragte er aufgeregt. „Noch schöner als hier?"
„Ja, das ist es. Es ist der prächtigste Ort, den ich je gesehen habe - es ist wie ein riesiges Märchenschloss." Sie schilderte ihm alles, was sie gesehen hatte, von dem weitläufigen Park, den kiesbestreuten Wegen, der hohen Eingangshalle, den glänzenden Marmorfußböden bis zu den schönen Kunstwerken, die überall zu sehen waren. Sie erzählte ihm sogar von den sich windenden Nymphen und posierte für ihn in einer der verwegenen Verrenkungen, die die Skulpturen gezeigt hatten. Er sah vorsichtig zu seiner Mutter hinüber und kicherte dann.
Wenn sie wegen des Gesprächs irgendwelche Bedenken gegen die Heiratspläne gehabt hatte, dann verschwanden sie nun, da sie in der Gesellschaft ihres Bruders war. Er lauschte ihrem stellenweise lückenhaften Bericht aufmerksam und warf nur gelegentlich Fragen ein, als wäre dies ein fantastisches Märchen, das wahr geworden
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