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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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und Mikrofone an langen Stangen.
    Der einzige Nichtinder, ein massiger Schweizer Busunternehmer, klärte Viktor auf: Drehpause jetzt. Gleich geht es weiter. Die indische Filmindustrie dreht schon seit einiger Zeit ein paar Dutzend ihrer tausend neuen Filme im Jahr in der Schweiz. Aus zwei Gründen. Die indischen Bergfilme wurden bisher im Kaschmir gedreht, da ist es jetzt wegen des Konflikts zu gefährlich. Zum anderen ist die Schweiz für das indische Publikum extrem exotisch. Sie mögen es, wenn sich ihre Liebespaare vor Almhütten finden und ansingen und im Hintergrund unheilige Milchkühe zu sehen sind. Nur das Gras muß hoch sein, es geht nicht mit gemähten Wiesen. Liebesfilme enden immer im hohen Gras. Das ein Problem, weil nur im Juni das Gras hoch genug ist. »Da müssen wir uns schiccccccken«, sagte der Busunternehmer. Dieses Team hier hat acht Filme in den letzten drei Wochen abgedreht. Das jetzt ist ein Musikfilm. »Wenn Sie warten, bis sie wieder mit dem Drehen anfangen, können Sie sie singen hören«, sagte der Busunternehmer. Er hat sogar schon einmal mitspielen dürfen: »Einen Schweizer Busfahrer.« Er kommt gut mit den Indern aus. Sie mögen das Schweizer Essen nicht und bringen ihre eigenen Köche mit. »Riechen Sie es?« Viktor wußte nicht, ob der Busmensch das ab- oder aufwertend meinte. »Nur, daß sie dauernd Luzern und Lausanne verwechseln, ist ärgerlich.« Da hat er als Busfahrer schon manches Problem mit gehabt.
    »Und diese wahnsinnig schöne Frau«, fragte Viktor, »es ist die schönste Frau, die ich je in meinem Leben gesehen habe.«
    »Wohl, wohl«, sagte der Busunternehmer, »sie war vor ein paar Jahren Miss World, jetzt spielt sie in sechzig Filmen im Jahr die Hauptrolle. Hier kennt sie keiner, aber in Indien, da ist sie der Superstar.«

Briefe an Penelope

    Auf dem Standesamt konnten sie es nicht lassen, die Ehe als einen »Hafen« zu bezeichnen. »Ich bitte Sie«, hatte Viktor bei einer seiner Eheschließungen den Beamten unterbrochen, »in einem Hafen bewegt sich doch gar nichts mehr. Hafen bedeutet doch nur noch ein vor sich Hindümpeln, und Ölflecken auf dem Wasser – wenn schon Seefahrtsmetapher, dann sprechen Sie bitte von einem Schiff. Ich stimme nur zu, wenn sie die Ehe als ein Schiff bezeichnen.«
    Mit Ella und Ira hatte es Turbulenzen und schließlich Schiffbruch gegeben. Mit Ellen funktionierte es. Ella hatte das Wort »funktionieren« nicht gemocht. Ellen war anders. Sie streckte ihm die Zunge heraus und sagte: »Du bist ein Maschinist!« Die Ehe mit Ellen war Viktor immer wie ein großer schwerer Dampfer vorgekommen, der lässig durch das Meer gleitet und dem Sturm und Wellen wenig anhaben können. Das Leben mit Ellen war alles andere als eine Strindberg-Hölle. Es war auch keine Oscar-Wilde-Komödie.
    Vielleicht waren nun einfach die paradiesischen Zustände vorbei. Vielleicht war das Maß an Überglück ausgeschöpft. Und jetzt war das Leben normal. Man vertrug sich. Und manchmal liebte man sich. Und man träumte, wie jeder normale Mensch, von einem glücklicheren Leben mit mehr Liebe. So waren sie, die Ehepaare. Sie gingen ins Kino, ins Theater, in die Oper und holten sich dort leihweise die Gefühle, die sie selbst nicht mehr hatten. Oder sie lasen. Seit zweitausend Jahren oder mehr lasen sie, wie andere sich liebten.
    Bisher war Viktor einer von denen gewesen, die lieben und ihre Liebe beschreiben konnten, und andere hatten das dann gelesen und sich daran erfreut. Das war ein Privileg. Er hatte sich verzehrt dabei. Vielleicht war er verbraucht? Vielleicht war auch er jetzt ein normaler Ehemann ohne die Kraft für außereheliche Abenteuer, auch er jetzt angewiesen auf die Liebesgeschichten, auf die Träume und Erfahrungsberichte anderer, auf künstlerische Zeugnisse einer Inbrunst und Besessenheit, die er selbst nicht mehr aufbrachte.
    Egal ob Ellen, diese auf Entschärfung brisanter außerehelicher Bomben spezialisierte Sprengmeisterin, ihr Enterotisierungsprogramm bewußt oder unbewußt durchgezogen hatte, sie hätte keinen Erfolg damit gehabt, wenn Viktor stärker gewesen wäre. Seine erotische Energie war wohl am Ende. Man konnte nicht sein Leben lang auf Hochtouren lieben.
    Zu diesen unerfreulichen Einsichten war Viktor auf seinen einsamen Bergspaziergängen und nach vielen imaginären Gesprächen mit Ella und Ira und Ellen und Selma und der Tscherkessin und Susanne und durchaus auch mit Sabine und der Nasenring-Tina gekommen – und selbst mit der

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