Der Liebessalat
unhöflich. –»Wo ist Viktor?«–»Er arbeitet.«–»Ah!«– Sympathisch war ihm diese Primadonnenhaftigkeit nicht, aber sie war ein Schutz. Am Schreibtisch, und vorläufig nur da, konnte er bei Penelope sein. Hier fühlte er sich sicher.
Zwei herbe Schläge rissen Viktor aus dem Glück des ungestörten Schmachtens. Ellen hatte ihre Drohung wahr gemacht und verkündete, sie werde demnächst nur noch halbtags arbeiten. »Dann haben wir auch mehr Zeit für uns », sagte sie und sah ihn an wie einst Ella. Sein Schrecken war so groß, daß ihm die Bemerkung, er sehe nun auch Ellen als Hobbygärtnerin vor sich und werde sich schon mal nach einem Reihenhaus umschauen, nicht von den Lippen wollte. Das war nicht der Augenblick für Hohn und Spott. Seine Freiheit war massiv gefährdet. Höchste Alarmbereitschaft.
»Hm«, sagte er schweißnaß und sah Katastrophen ungeahnten Ausmaßes vor sich: Aufgabe der Wohnung in Frankfurt – und wohin dann mit all den Heiligtümern der Vergangenheit; tagsüber weniger exzessiv Musik hören können; Einschränkung des Telefonkontakts mit der Tscherkessin. Darüber hinaus würde generell das Betreiben außerehelicher Verhältnisse doppelt erschwert, die doch doppelt so wichtig sein würden, erstens, um sich vom alsbald vermehrten ehelichen Zusammensein zu erholen, und zweitens, um Stoff für neue Bücher zu gewinnen, die jetzt für den Lebensunterhalt noch wichtiger wären. Ein Teufelskreis, der nicht mehr zu durchbrechen war. Viktor dachte sofort an Selbstmord. Ein solches Leben war nichts mehr wert. Es war Ellens gutes Recht, weniger zu arbeiten, und sein gutes Recht, sich für immer zu empfehlen. Schließlich hatte er keine Kinder in die Welt gesetzt, um die man sich sorgen müßte. Der Gedanke an den letzten Ausweg hatte etwas dermaßen Tröstliches, daß der Schrecken wich und die gute Laune wieder zurückkam.
Der zweite Schlag hatte mit Penelope zu tun. Nach wie vor grub Viktor sich in die Briefe an sie hinein, obwohl er das Gefühl hatte, sich langsam zu wiederholen. Trotzdem, es war eine geheime Zuflucht, es war immer noch befriedigender und leichter, ihr zu schreiben, als mit einem Roman anzufangen, wozu es langsam Zeit wurde, denn das Geld fing an, knapp zu werden, und wenn Ellen bald nur noch ihr halbes Einkommen haben würde, könnte es hart und eng werden.
Noch drückte Penelope die Briefe lieblich an sich, wenn er sie als sein eigener Bote überbrachte, noch konnte er auf künftige Umärmelungen hoffen. Dann aber war ihr bei einer Briefübergabe ein »Lieber Himmel!« entschlüpft, was eher wie ein Seufzer klang als wie ein Freudenruf und was Viktor sofort den Boden unter den Füßen entzog. Er hatte um Antwort gebeten, und um die zu beschleunigen ihr einen Fragebogen geschickt, wo sie nur anzukreuzen brauchte, ob sie an seinen Briefen noch immer Gefallen finde oder ob sie nicht langsam doch die Nase voll habe: viertelvoll, halbvoll oder schon dreiviertelvoll? Zutreffendes ankreuzen. Wenn Nase voll, dann weil a.) quantitativ, zu viel Text? Oder b.) qualitativ, zu viel Bocksgesang? Und was ihr Freund Urs mittlerweile von der Sache wisse oder halte, wollte Viktor endlich auch wissen.
Der ausgefüllte Fragebogen lag wenig später zuverlässig und konspirativ in einem neutralen Umschlag in der Zeitungsröhre von Ellen und Viktor Goldmann und machte Viktor noch unsicherer. Zwar war die Antwort »Ich will weiterlesen« dick angekreuzt und mit einem großen extra Ausrufezeichen versehen, aber dieser so schmeichelhafte und strahlende Wunsch wurde getrübt durch einen eingefügten Zusatz bei der Frage »Was weiß er davon? nichts – alles – etwas«. Dort nämlich fand sich die grausame Bemerkung: »Manchmal lese ich ihm abends einige Sätze aus deinen Briefen vor.«
Diese Auskunft erschütterte Viktor aus verschiedenen Gründen. Nicht daß ihm seine Liquidationsphantasien peinlich gewesen wären. Die Briefpassagen, in denen er Urs das Leben hatte aushauchen lassen, waren ein Witz, und obendrein hatte er sich selbst nach Duellen öfter den Tod gegönnt als dem Rivalen, schon um in den Genuß zu kommen, in den äthiopischen Armen der tränenüberströmten Penelope glücklich zu sterben. Peinlich war ihm auch nicht, daß Freund Urs von seiner rückhaltloser Verehrung und den mittlerweile unzählbaren Briefen wußte. Das war nicht zu verheimlichen. Viktor hatte sich Penelope, auch wenn sie alles andere als holländisch aussah, immer wie von Vermeer gemalt vorgestellt. Was
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