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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Triumphfahrt. »Als Sieger kehre heim«– das war aus einer Verdi-Oper, das mußte nicht sein. Ein paar andere Songs aber mußten sein.
You can’t always get what you want
von den Rolling Stones mußte sein, weniger wegen der zweifellos richtigen Aussage des Titels, als wegen der ersten Textzeile »I saw her today at the reception«– denn an das Bild hatte Viktor denken müssen, als er Penelope erstmals die Post persönlich überbrachte: Am Rezeptionstresen der Sprachschule war sie gestanden, allerdings nicht mit einem »glass of wine in her hand«, wie es in dem Stones-Song heißt, sondern mit der Karteikarte eines Kursteilnehmers.
    Ohne die Kraft zu schönen Visionen hockte Viktor da wie eine Schnee-Eule und döste. Es wurde ihn klamm und klammer. Um nicht noch steifer zu werden, begann er mit dem Oberkörper vor und zurück zu wippen, wie ein betendender Muselmane, dem sie diese grotesken Bewegungen in der Koranschule beigebracht hatten. An dem Gewackel zeigte sich mit schöner Deutlichkeit, daß fanatisches Beten ein hospitalistischer und autistischer und in jedem Fall debiler Vorgang war. Wer Verstand in der Birne hatte, würde kaum auf die Idee kommen, eine Erfindung namens Gott anzubeten. Die orthodoxen Juden waren nicht besser, auch sie waren Wackler. Viktor verabscheute alle Formen der Religiosität so sehr, daß ihm sein Wackeln, selbst hier oben auf dem Monte Rosa, wo es seinen physischen Sinn hatte und dem Kältetod vorbeugen sollte, zuwider war. Vielleicht war das Fehlen des Glaubens an die üblichen Götter der Grund für sein manisches Frauenverehrungsbedürfnis und seinen nicht totzukriegenden Glauben an die Liebe. Es war nicht auszuschließen, daß auch die Liebe nur eine Erfindung war, aber sie war in jedem Fall brauchbarer als Gott. Den Vorwurf, er verstehe nichts von den Frauen und wisse nicht, was wahre Liebe sei, hatte Viktor sich von allen drei Ehefrauen anhören müssen – natürlich, weil die perfide Ehe der Liebe das Funkeln nahm.
    Das Frieren ließ langsam nach, das Foto, das er machen wollte war ihm jetzt egal, Penelope war ihm egal, Ellen war ihm egal, seine Bücher waren ihm egal. Alle Empfindungen ließen nach, und es wurde leer in seinem Kopf.

Lo stambecco innamorato

    Viktor verstand nicht, was die Gestalt im Nebel gesagt hatte oder ob das Wort überhaupt an ihn gerichtet war. Er war so klamm und ohne Gefühl, wie manchmal, wenn er am Schreibtischstuhl unvermittelt eingeschlafen war, nach einer Stunde verrenkt und orientierungslos aufwachte und nicht mehr wußte, wo er sich befand. Er schaute dann immer als erstes auf die Uhr, wobei er im Winter oft nicht wußte, ob es die Dunkelheit des Nachmittags oder des frühen Morgens war. Jetzt war es hell und nebelig, und es war zwei Uhr.
    Die Figur war wenige Meter entfernt, aber wegen des Nebels nur schemenhaft erkennbar. Sie war groß und wirkte oben herum eigenartig aufgeblasen. Wenn die Idioten doch recht hatten mit ihrem Gerede vom Leben nach dem Tod – und oft hatten die Idioten recht –, dann sah das hier verdächtig nach einem Boten aus, der Viktor abholen wollte in das Reich der ewigen Nebelschwaden, wo es so kalt und grau war, daß einem die bunten Phantasien endgültig vergingen.
    Glücklicherweise war es kein Mann. Es war eine Frauenstimme. Das Wort allerdings, das das Nebelwesen jetzt schon mehrfach gerufen hatte, verstand Viktor nicht, es klang wie »Sambuco«– und das ergab wenig Sinn, denn »Sambuco« war seines Wissens ein süßer Holunderschnaps, den man mit Kaffeebohnen darin serviert bekam. Ira hatte das gern getrunken.
    Die Motorradtour mit Ella durch Argentinien fiel ihm ein. Da war eines Morgens eine ähnlich rätselhafte Gestalt im Dämmer vor ihrem Lager gestanden, unangenehmerweise ein Polizist, aber er hatte sie nicht abgeholt und gefoltert, sondern immer nur ein Wort hervorgestoßen, das sie nicht verstanden hatten: »cavaschos, cavaschos«– mit stimmlosem »Sch«. Schließlich hatte er seine argentinische Aussprache bleiben lassen und in verständlichem Spanisch nach den »caballios« gefragt: »¿cuántos caballios tiene?« Wie viele Pferdestärken hat die Maschine?
    Viktor war mittlerweile ziemlich sicher, daß er noch am Leben war, verstand aber noch immer nicht das Wort, das die Frau im Nebel rief, als suche sie nach einem verschwundenen Hund. Offenbar eine Italienerin. Paßte ja auch auf diesen Berg, der nicht umsonst Monte Rosa und nicht Rotberg oder Rötli hieß.
    »Come?« fragte Viktor. Mehr

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