Der Liebessalat
auffordern, in ein Lokal mitzugehen, die dich eine Stunde anschwärmen und sich dann auf Nimmerwiedersehen verdrücken? Du kannst mich doch nicht für so einen Mann gehalten haben!«
Sie amüsierte sich über seine Vehemenz. »Was ist es denn, das du empfindest?« fragte sie. Da zog sie Viktor an sich und drückte sie fest. Sie wurde sofort weich und atmete tief, wie Ira geatmet hatte. »Komm«, sagte sie, »deine Freundin hat schon für uns alle bezahlt.«
Die Wohnung der Tscherkessin war mit Büchern vollgestopft. Sie saßen in ausgefransten Korbsesseln. Viktor kam sich vor wie ein Student. Sie kochte einen Tee. »Ich hätte dir sagen sollen, daß ich verheiratet bin«, sagte sie. »Bin ich doch auch«, sagte Viktor.
Er war beruhigt. Am beruhigendsten war, daß der Mann der Tscherkessin nebenan schlief oder arbeitete. Täte er das nicht, läge Viktor jetzt womöglich mit der Tscherkessin im Bett und hätte bald ein Problem mit Sabine gehabt, mit der er um zwei verabredet war. Er hatte beim Herfahren im Taxi schon vor sich gesehen, wie er ab halb zwei dauernd auf die Uhr schielen und die Polygamie verfluchen würde.
Der Mann der Tscherkessin war Mathematikprofessor. Viktor stellte sich sofort einen achtzigjährigen Gelehrten vor und war überrascht, als er hörte, daß er noch keine vierzig war und einige Bücher Viktors kannte. Er hatte Rebecca den Tip gegeben, zu seiner Lesung zu gehen. Viktor wurde es mulmig, als er das hörte. Die Tscherkessin aber hielt den Kopf schräg, faßte ihr spitzes Knie und zog ihr Bein an sich und plazierte die Ferse auf der Sitzfläche des Sessels. Sie war barfuß, der Nagellack ihrer Zehen war herausgewachsen, sie entschuldigte sich dafür und beschimpfte ihre Füße als häßlich, zu Recht, denn sie waren tatsächlich vom Tragen enger hochhackiger Schuhe verbogen. Die Situation war entzückend und harmlos zugleich, so daß er nicht das Gefühl hatte, Rebeccas gutgläubigen Mann zu hintergehen.
»Ich kann es einfach nicht!« Die Tscherkessin schüttelte über sich selbst den Kopf. Die Wohnung sei zwar groß genug, aber mit ihrem Mann nur ein paar Meter entfernt gehe es nicht. Es war unglaublich: Sie hatte offenbar eine Liebesnacht im Auge gehabt und ärgerte sich über ihre Skrupel oder ihr Taktgefühl.
Viktor machte einen Fehler. Er sagte: »Das macht nichts.«
Die Tscherkessin wurde mißtrauisch: »Das macht nichts!? Natürlich macht das was. Es ist eine Katastrophe. Das sollte mich nicht hindern. Es hätte mich früher nicht gehindert. Ich werde alt.«
Sie war achtunddreißig und schien an draufgängerischere Liebhaber gewöhnt zu sein als an Viktor. Plötzlich sah sie verworfen aus, als erwarte sie Worte wie: »Dein Mann nebenan? Stell dich nicht an!« Als würde sie sich glücklich seufzend ergeben, wenn er das nur entschlossen genug stammeln und ihr die Bluse öffnen würde.
Viktor versuchte, seinen Fehler zu korrigieren: »Natürlich macht es etwas! Aber es ist doch keine generelle Absage. Ich habe gelernt zu warten. Liebespaare, die es im Zimmer neben ihrem Ehepartner treiben können, sind nur in Romanen gut.« Um etwas mehr Elan zu zeigen, fragte er möglichst grimmig: »Wer war der Typ, mit dem du auf der Lesung warst?«
Das war ein Freund der Tscherkessin, ein Pole. Freund war ein unbestimmtes Wort. Es stellte sich heraus, daß die Tscherkessin zwei Kinder von ihm hatte, die hauptsächlich bei ihrem Vater lebten. Jüdisch auch er. Der Mathematikprofessor-Gatte war ein Goi. Von ihm hatte sie auch zwei Söhne.
Viktor hatte das Gefühl, in der Tscherkessin nicht nur endlich sein Pendant, sondern seine Lehrmeisterin gefunden zu haben. In der Kunst der freien Liebe war diese Frau wesentlich fortgeschrittener als er. Gegen diese tscherkessischen Familienverhältnisse waren seine chaotischen vergleichsweise geregelt. Er kam sich vor wie ein Waisenknabe. Die Tscherkessin erzählte viel von ihrem Mann und ihrem Liebhaber, die ihr beide nicht genügten. Viktor fand, sie redete zu schlecht von ihnen. Immerhin schienen sie ihre Rebecca tun zu lassen, was sie tun wollte, das war eine Seltenheit. Die Tscherkessin straffte ihren Oberkörper. Sie hatte einen süßen kleinen festen Busen. »Kein Mann kann mir etwas verbieten«, sagte sie.
Viktor erzählte von Ella und von Ira, wie es mit ihnen erst gegangen und dann auseinandergegangen war. Wie Ella die Vielweiberei nicht ausgehalten, wie er ihren Kinderwunsch und ihr Sicherheitsdenken nicht ertragen hatte, wie Ella die Sache
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