Der Liebessalat
weh. Die Ausdrucksformen der Verbitterung konnte er nicht einmal dann ertragen, wenn sie taktisch eingesetzt wurden, wenn sie kokett und schlecht gespielt waren.
Erneut griff Viktor nach Sabines Schultern und merkte, wie sie weicher wurde, weil sie spürte, daß er es ernst meinte: »Ich habe unsere beiden Nächte doch nicht vergessen«, sagte er. »Aller guten Dinge sind drei.« Vor einigen Stunden wäre er lieber mit Bettina und ihrem Nasenring im Bett gelegen, dann wäre er lieber allein im Bett gelegen, dann lieber mit der Tscherkessin – und jetzt sehnte er sich tatsächlich danach, mit Sabine im Bett zu liegen, natürlich nicht, weil alle guten Dinge drei waren, sondern weil sie eine gemeinsame Geschichte hatten, eine schöne kleine lila Geschichte, und weil es nicht ging, daß eine Frau, die einst kühn in die Rolle einer seiner Figuren geschlüpft war und ihn damit vom Dichter zum Schöpfer gemacht hatte, eine Frau, die derart delikat und originell und forsch und derart lila in sein Leben und seine Bücher getreten war – derart banal und stillos aus seinem Leben verschwand. Viktor legte seine Stirn an Sabines Stirn und sagte ihr ganz schnell das alles – und weil er es ernst meinte, nickte sie und streichelte ihn, und er sagte: »Ich warte auf dich im Hotel. Du mußt verstehen, daß ich mich jetzt noch ein bißchen von der schönen Jüdin loben lassen muß, diese besondere Art von Balsam kann mir eine Schickse wie du nicht bieten. Um eins macht das Lokal hier dicht. Um halb zwei bin ich im Hotel. Wenn du kommst, freue ich mich, und zwar diebisch. Wir haben etwas zusammen. Du kannst jetzt nicht einfach verschwinden.«
Sabine lächelte und war jetzt sehr hübsch. Und Viktor war stolz auf sich, daß er sie wieder begehrte, und hatte das Gefühl, dem Perfektionswahn entkommen zu sein. Auf das Lächeln kam es an, verdammt, auf den Blick, nicht auf die Beine. Es lebe der unperfekte Mensch. Tod allen Genforschern! Es fiel ihm der Untertitel der Ausstellung ein, die unlängst von sich reden gemacht hatte, weil sie sich sozusagen gegen den rassehygienischen Wahn wandte, der in der modernen Gen-Gesellschaft ausgebrochen war, wo man mit der Machbarkeit des idealen Menschen spekulierte. Die Ausstellung hieß»Der (im)perfekte Mensch«, und vor allem ihr Untertitel war gut: »Vom Recht auf Unvollkommenheit«. Es war ihm warm, und Sabine spürte, daß er sie ungern gehen ließ und sich auf ihr Kommen freute.
»Laß dir Zeit«, sagte sie, »hör dich satt an den Komplimenten, ich verstehe dich. Hetz dich nicht und sei um zwei Uhr in der Hotelhalle, das genügt.«
Was für eine Frau. Sie ging und würde wiederkommen, und Viktor war glücklich. Dieser Tag hätte nicht mit einer Verletzung enden dürfen. Nie mehr wollte Viktor einen Menschen verletzen. Außer natürlich Genforscher und Neonazis. Aber nie mehr Frauen, die er ins Herz geschlossen hatte. Er ging aufs Klo, pinkelte, machte sich frisch und dachte reumütig an Ella, seine erste Frau. Im Gegensatz zu Sabines gespielter Minimalverbitterung war Ellas Verbitterung groß und ernst gewesen, und als Ehefrau hatte sie auch mehr Grund dazu. Er hatte damit damals nicht umgehen können. Ella hatte Qualen ausgestanden, weil sie ihm nicht genügte und er sich für andere Frauen interessierte. Und er hatte Qualen ausgestanden, weil er sie mit einem Bedürfnis verletzte, das er für völlig natürlich hielt. Nach einem glücklichen ersten Ehejahr, das sie vor allem auf einem Motorrad in Argentinien zugebracht hatten, weil Viktor ein lateinamerikanisches Reisebuch schrieb, hatten sie in Köln gelebt, und schon war es problematisch geworden. Wenn man den ganzen Tag eng aneinandergedrückt dahinfährt und ständig den Vibrationen eines bulligen Motors ausgesetzt ist, ist am Abend die Lust aufeinander groß. Da einem tagsüber beim Fahren die Helme das Reden schwer machen, ist man nachts gesprächig. Man schält sich aus seinem Overall. Auch das war lustvoll. In Buenos Aires hatte Viktor für Ella einen lorbeerblattgrünen Overall schneidern lassen und sie damit überrascht. Am Rücken, da wo bei Motorradrennfahrern der Name der sponsernden Zigarettenmarke steht, hatte er in großen Buchstaben das Wort ELLA applizieren lassen. Er liebte es, von der hinter ihm sitzenden lorbeerblattgrünen Ella umarmt zu werden, die ihm unter ihrem Helm und verschlossen in ihrer Rüstung aufregend fremd blieb. Manchmal, wenn Ella gestiefelt und startbereit neben dem Motorrad stand, das
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