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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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»Rebecca…«
    Sabine hatte mitgehört, verdrehte die Augen und sagte zu einer ihr bekannten Tischnachbarin halblaut, aber auch deutlich, jovial, aber auch giftig: »Seine Komplimente werden immer unerträglicher. Richtiger Altherrenschleim!«
    »Rebecca…« wiederholte Viktor ein weiteres Mal.
    »Nennen Sie mich ‘Tscherkessin’«, befahl Rebecca, »‘Rebecca’ sagen alle. Alle freuen sich, eine Jüdin zu kennen und zu ihr freundlich zu sein.« Sie sprach ironisch, aber dahinter war eine Spur von echter Verärgerung. »Vermutlich bedauert man«, fuhr sie fort, »daß ich nicht Rachel heiße. Rachel ist noch jüdischer. So würden sie mich noch lieber nennen. Ich habe eine Freundin, die Rachel heißt. Die Deutschen können diesen Namen gar nicht oft genug aussprechen.« Sie schnaubte verächtlich. »Rachel hier, Rachel dort. Rachel muß man alles recht machen. Eine hübsche Jüdin gibt den deutschen Intellektuellen die Möglichkeit, zu zeigen, daß sie keine Antisemiten mehr sind. Rebecca, wie hältst du es in Deutschland aus? Rebecca, wir Deutschen sind schrecklich. Rebecca, in meiner Familie gab es keine Nazis. Rebecca, erzähl von Israel. Scheiße! Es gefällt mir gut, für Sie die Tscherkessin zu sein.« Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Sie haben diesen Wiedergutmachungsphilosemitismus nicht nötig. Sie wirken nicht so deutsch.« Sie lächelte unerklärlich, und obwohl Viktor keine Ahnung hatte, ob sie ihn verspottete oder nicht, seufzte er glücklich und gestand, er sei dummerweise deutsch genug, um eben das für das allerschönste Kompliment zu halten: gesagt zu bekommen: »Sie wirken nicht deutsch«– und dann noch von einer Jüdin. Und dann noch von einer tscherkessischen! Er küßte ihr die Hand. Sabines Lächeln diagonal über den Tisch verzerrte sich ins Angewiderte. Die Tscherkessin gestand Viktor, daß sie bis heute Nachmittag geglaubt habe, er sei jüdisch. Goldmann. Daß es nichtjüdische Goldmanns gebe, habe sie nicht gewußt. Erst der Mann, mit dem sie da war, hatte ihr gesagt, daß Viktor nicht zum auserwählten Volk gehöre.
    Der Mann, mit dem sie da war – Viktor frohlockte. Sie hatte nicht »mein Mann« gesagt.
    Ein mittelalterliches Ehepaar erhob sich. Der Mann hatte Viktors neues Buch nach der Lesung fünf Mal gekauft und war ihm angenehm aufgefallen, weil er auf die Frage, ob er etwas reingeschrieben haben wolle, geantwortet hatte: »Wozu?« Das war ein Zitat, mit dem er sich als Kenner erwies. In einem von Viktors Romanen kam ein Schriftsteller vor, der einem Leser eine Widmung anbietet – doch der sagt nur: »Wozu?« Viktor hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Mann auch gegen seinen Willen in eines seiner Bücher zu schreiben: »Wozu? Viktor Goldmann«. Der Mann hatte wissend gelächelt und dann kein Wort mehr gesprochen. Jetzt sagte er: »Morgen ist ein ganz normaler Arbeitstag. Wir gehen dann mal.« Seine Frau sagte zu Viktor: »Auf Wiedersehen und vielen Dank, Ihre Lesung hat sehr zum Nachdenken angeregt.«
    Die Tscherkessin kicherte frech: »Wirklich?«
    Viktor litt. Es war ihm nicht angenehm, daß die Bildungsbürgerlichkeit von Leuten verspottet wurde, die seine Bücher fünf Mal kauften und weiter verschenkten.
    Sabine sagte sehr kühl: »Ich schließe mich dann wohl mal an. Auf Wiedersehen auch.«
    »Moment!« Viktor sprang auf, folgte Sabine zur Garderobe und hielt sie an: »Du darfst noch nicht gehen!«
    »Ich glaube, ich bin etwas überflüssig«, sagte sie.
    »Sabine, ich bitte dich!« sagte Viktor und haßte sich sofort für diese Worte, kaum waren sie ihm entschlüpft. Er stand weit neben sich, ein fremder Normalmann, ein mieser, lieblos seinen Dialogpart abstammelnder Fernsehspielschauspieler der billigsten Sorte. Wenn es im deutschsprachigen Raum eine Million Sabines gab, dann dürften neunzig Prozent all der Sabine-Ehemänner oder Sabine-Freunde täglich diesen Sabine-Beschwichtigungssatz sagen: »Sabine, ich bitte dich!«
    Sabine ging auf sein diffuses, halbherziges und falsches Flehen nicht ein. »Ich sehe, was los ist«, sagte sie, »Guten Abend, schöne Nacht – je nachdem. Und angenehme Rückreise morgen.«
    So hatte Ella zu ihm gesprochen: »Geh nur mit der anderen, bitte, tu was du nicht lassen kannst, viel Vergnügen!« Viktor sah auf die Uhr. »Es ist doch erst kurz nach elf!« sagte er und legte seine Hände auf Sabines Schultern.
    »Eben. Und morgen ist ein ganz normaler Arbeitstag«, sagte Sabine. Ihr verletztes Zurückweichen tat Viktor

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