Der Liebessalat
Unverzichtbarkeit betraf, vielleicht zur Disposition, anderseits gab es nicht den geringsten Grund, die Susanne-Geschichte für beendet zu erklären, solange sie niemandem weh tat. Begegnungen mit Susanne lagen immer noch deutlich im Bereich des Angenehmen. Es war nicht auszuschließen, daß wieder Feuer hineinkam. Sollte aber die Glut langsam vollends erlöschen, wäre das Einschlummern der Liebschaft ein besseres Ende, als sie mit pathetischen Worten einvernehmlich abzuschließen. Susanne dachte vermutlich ähnlich, jedenfalls wußte sie, daß er so dachte, zumindest wenn sie die zwei Romane kannte, in denen sie ihre Auftritte hatte. Dort hatte Viktor ein Liebespaar lange Unterhaltungen über das Sterben der Liebe führen und sie übereinkommen lassen, das man analog zur Sterbehilfe die Liebe dann töten dürfe, wenn sie am Ende sei und nur noch Schmerzen bereite. Wenn sie sich aber schmerzlos verflüchtige, gebe es keinen Grund einzugreifen, dann solle man das natürliche Hinscheiden einfach geschehen lassen. Damals hatte Viktor mehr an Beate gedacht. Bei den letzten Treffen mit Beate war der Liebeswille immer unscheinbarer geworden, die Libido hatte unmerklich ihren Geist aufgegeben, ohne daß einer von ihnen groß nach Worten des Bedauerns hätte suchen müssen.
Viktor wusch die beiden Weingläser aus, trocknete sie ab und stellte sie in den Schrank. Unglaublich, daß es immer noch Ehebrecher gab, die den klassischen Fehler machten, zwei Gläser in der Wohnung herumstehen zu lassen – eines womöglich mit einem Lippenstiftabdruck am Rand. Selbst schuld, wenn das zu dummen Nachfragen führte. Heimliche Liebhaber mußten Gläser wegräumen, heimliche Liebhaberinnen durften keinen Lippenstift benutzen und auch kein Parfum. Beides mochte Viktor nicht, so daß auch dies für das Unterhalten von heimlichen Liebschaften sprach: Man wurde nicht nur ein besserer Mensch. Man räumte nicht nur fein säuberlich die Wohnung auf, ehe die gute Gattin kam, man ließ nicht nur keine Gläser herumstehen – man hatte es auch nicht mit scheußlichen Parfumgerüchen und zugeschmierten Lippen zu tun – wunderbar. Nur die Haare, sofern sie anders waren als die der Ehefrau, mußten nach dem Seitensprung in den eigenen vier Wänden aufgespürt und entsorgt werden. Natürlich war das Ehebett tabu, zu diesem Zweck hatte man eine bequeme Couch in seinem Arbeitszimmer. Die Liebe im Arbeitszimmer führte einem zudem beschwichtigend vor Augen, daß Liebe ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit war.
Eine Weinflasche war leer, eine zweite halbvoll. Guter Wein. Viktor goß ihn weg. Ellen wußte, daß er allein nie Wein trank. Er liebte es, sich mit Wein zu betrinken, aber nur in Gesellschaft. Wenn er ein Buch schrieb, mußte er völlig nüchtern sein und bleiben und konnte gar nicht trinken. Da er meistens an einem Buch schrieb, hatte er wenig Gelegenheit, sich die Weine einzuflößen, die von aufmerksamen Gästen mitgebracht wurden. Jetzt war eine Phase zwischen zwei Romanen, er schrieb nicht konzentriert, er konnte sich betrinken – aber eben nicht allein. Allein trank er nur Säfte.
Beim Weintrinken in Gesellschaft kam Viktor in Fahrt und wurde vollkommen euphorisch. Selten trank er weniger als zwei Flaschen, und er tat in diesen Zustand sogar das gern, was er sonst nicht ausstehen konnte: Autofahren. Er fuhr nicht nur schadlos durch die Nacht, er war so geistesgegenwärtig, daß er einmal eine mißtrauische Polizeikontrolle überstanden hatte, indem er sich so verhielt, wie sich laut Lehrbuch kein Betrunkener verhält. Er hatte nicht murrend oder bangend seine Papiere aus dem Fenster gereicht, sondern war aus dem Wagen gestiegen und hatte sich den Polizisten damit gleichsam gestellt, was nur nüchterne Menschen mit sehr gutem Gewissen tun. Betrunkene steigen nie freiwillig aus, weil sie Angst haben, zu schwanken. Normale Nüchterne steigen auch nicht aus, weil sie keine Lust haben, sich wegen zwei schnöseligen Polizisten zu erheben. Nur höfliche nüchterne Menschen, die es nicht einsehen, warum die armen Polizisten sich demütig zu ihnen hinabbeugen müssen, steigen aus. Steigt der kontrollierte Fahrer aus, erlaubt er dem Polizisten, ein aufrechter Mensch zu bleiben. Das wird der einem danken. Der Fahrer zeigt nun die gewünschten Papiere vor. Besser ist, wenn er nach kurzen Suchen behauptet, seine Frau habe sie wieder mal nicht in seine Brieftasche zurückgesteckt. Die Frauen! Diese Schlampen. Der kleine Verrat schafft
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