Der Liebesschwur
Enttäuschung? – blitzte in ihren goldenen Augen auf. »Ich werde euch nicht verlassen, aber wenn man genau überlegt, so bedeutet das, dass Mr. Vane Cynster, der gestern erst ein recht angenehmes Haus einen Steinwurf von hier entfernt in der Curzon Street gekauft hat, keinen Grund haben könnte, unter dem Dach seiner Patentante zu wohnen.«
Patience verzog das Gesicht. »Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich nehme an, jetzt, wo wir in London sind, werden wir uns dem Diktat der Gesellschaft unterwerfen müssen.«
Und das bedeutete, dass er die Nacht nicht in ihrem Bett verbringen konnte. »Genau.« Vane unterdrückte seine Reaktion darauf. Es gab andere Möglichkeiten, aber davon brauchte sie im Augenblick noch nichts zu wissen. Wenn es ihm erst einmal gelungen war, ihre Verbindung auf eine bessere Basis zu stellen, würde er ihr sein Geheimnis verraten. Bis dahin …
Er reckte sich und stieß sich von dem Kamin ab. »Ich mache mich besser auf den Weg. Ich werde morgen kommen und sehen, wie ihr euch eingelebt habt.«
Patience hielt seinem Blick stand, dann streckte sie ihm kühl die Hand entgegen. Er griff danach, beugte sich vor und drückte die Lippen auf ihren Handrücken. Und er fühlte den kleinen Schauer, der durch ihren Körper rann.
Für den Augenblick gab er sich damit zufrieden und ging.
»Es ist ja alles soooo aufregend!«
Patience ignorierte Angelas Ausruf, den sie an diesem Morgen mindestens schon zehnmal gehört hatte. Sie saß in einer Ecke der chaise in einem der beiden Salons und bestickte ein weiteres Tuch. Die Arbeit hatte ihren Reiz verloren, doch musste sie etwas tun, um ihre Gedanken zu beschäftigen – und ihre Hände – , während sie darauf wartete, dass Vane kam.
Vorausgesetzt, er würde überhaupt kommen. Es war immerhin schon nach elf Uhr.
Neben ihr saß Timms und stopfte. Minnie, die die Anstrengungen der Reise überraschend gut vertragen hatte, saß zusammengesunken in einem großen Lehnsessel vor dem Kamin. Auf der anderen chaise hatten Mrs. Chadwick und Edith Swithins es sich bequem gemacht. Angela – die ständig diese sinnlosen Erklärungen ausstieß – stand am Fenster und blickte durch die Spitzengardine auf die Straße.
»Ich kann es gar nicht erwarten, alles zu sehen – die Theater, die Modistinnen, die Hutmacherinnen.« Angela schlug die Hände vor die Brust und wirbelte herum. »Es wird alles so herrlich aufregend sein!« Sie blieb stehen und sah ihre Mutter an. »Bist du sicher, dass wir nicht doch noch vor dem Mittagessen nach draußen gehen können?«
Mrs. Chadwick seufzte. »Wir haben abgemacht, dass wir heute Nachmittag einen kleinen Spaziergang machen werden, um zu entscheiden, welche Modistin die Richtige sein wird.«
»Es wird eine in der Bruton Street sein müssen«, erklärte Angela. »Aber Edmond sagt, die besten Geschäfte sind in der Bond Street.«
»Die Bond Street liegt gleich hinter der Bruton Street.« Patience hatte auf der Reise hierher einen Reiseführer gelesen. »Wenn wir erst einmal die eine Straße entlanggegangen sind, haben wir die andere bereits erreicht.«
»Oh. Gut.« Nachdem ihre Aussichten für den Nachmittag geklärt waren, gab Angela sich wieder ihren Tagträumen hin.
Patience widerstand dem Wunsch, einen Blick zu der Uhr auf dem Kaminsims zu werfen. Sie konnte ihr ständiges Ticken hören, wie sie die Minuten zählte. Es schien, als hätte sie schon stundenlang zugehört.
Sie wusste bereits jetzt, dass ihr das Leben in der Stadt niemals gefallen würde. Sie war an die Stunden auf dem Land gewöhnt. Das Frühstück um zehn Uhr, das Mittagessen um zwei Uhr und das Abendessen um acht Uhr oder noch später, würde ihr niemals zusagen. Es war schon schlimm genug, dass sie zu ihrer üblichen Zeit aufgewacht war und das Frühstückszimmer noch leer vorgefunden hatte. Sie hatte sich mit Tee und Toast im hinteren Wohnzimmer begnügen müssen. Es war auch schlimm, dass es hier kein Piano gab, mit dem sie sich ablenken konnte. Und noch schlimmer war es, dass es offensichtlich unakzeptabel war, das Haus allein zu verlassen und spazieren zu gehen. Doch das Allerschimmste war, dass das Haus Nummer 22 in der Aldford Street wesentlich kleiner war als Bellamy Hall, und das bedeutete, dass sie alle zusammengewürfelt worden waren, einander ständig begegneten und jeder alles vom anderen mitbekam – die ganze Zeit über.
Sich einen so engen Raum mit den anderen zu teilen, würde sie wahnsinnig machen.
Und Vane war noch immer nicht
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