Der Liebesschwur
ablehnend oder beides. Mit hoch erhobenem Kinn ignorierte sie all die Blicke. Sie wusste, dass ihr Umhang und ihre Haube nicht der neuesten Mode entsprachen. Sie waren ohne jeden Schick. Wahrscheinlich sogar altmodisch.
Aber sie würde ja nur wenige Wochen in London sein – um einen Dieb zu fangen – , also war ihre Garderobe nicht so wichtig.
Wenigstens nicht für sie.
Sie warf Vane einen schnellen Blick von der Seite zu, doch konnte sie an seinem Gesichtsausdruck nichts von seinen Gedanken erraten. Es gab keine Anzeichen dafür, dass er die Blicke überhaupt bemerkt hatte, geschweige denn reagierte er darauf, auch nicht auf die eindringlicheren Blicke, mit denen er bedacht wurde. Patience räusperte sich. »Es scheinen eine ganze Menge Ladys hier zu sein – ich habe mir gar nicht vorstellen können, dass so viele bereits in die Stadt zurückgekehrt sind.«
Vane zuckte mit den Schultern. »Es sind noch längst nicht alle da, aber das Parlament hat seine Arbeit schon wieder aufgenommen, also sind alle Politiker bereits zurückgekehrt und üben ihren Einfluss aus bei den üblichen Bällen und Essen. Und das zieht eine ganze Anzahl Menschen der gehobenen Gesellschaft zurück in die Stadt. Die wenigen Wochen des gesellschaftlichen Wirbels füllen die Zeit zwischen dem Sommer und dem Beginn der Jagdsaison.«
»Ich verstehe.« Patience blickte auf die Kutschen vor ihnen und bemerkte eine Lady, die sich recht lässig zurückgelehnt und zugesehen hatte, wie sie vorbeifuhren, sich dann aber abrupt aufgesetzt hatte. Eine Sekunde später winkte sie – gebieterisch.
Patience sah Vane schnell von der Seite an, seinem Blick und seinen zusammengepressten Lippen nach zu urteilen, hatte er die Lady bereits gesehen. Sein Zögern war offensichtlich, doch dann, als hätte er sich zusammengerissen, verlangsamte er den Schritt seiner Pferde. Der Zweispänner hielt neben der eleganten Kutsche an.
In der Kutsche saß eine Lady, die ungefähr so alt sein musste wie Patience. Sie hatte leuchtendes, kastanienfarbenes Haar und ein paar äußerst kluge, blaugraue Augen. Und diese Augen sahen jetzt in Patience' Gesicht. Die Lady lächelte erfreut.
Vane nickte grimmig. »Honoria.«
Die Lady lächelte ihn an, noch ein wenig freundlicher. »Und wer ist das?«
»Darf ich dir Miss Patience Debbington vorstellen, Minnies Nichte.«
»Wirklich?« Ohne zu zögern, streckte die Lady Patience die Hand entgegen. »Ich bin Honoria, meine liebe Miss Debbington.«
»Die Herzogin von St. Ives«, fügte Vane mit grimmig verzogenem Gesicht hinzu.
Honoria ignorierte ihn. »Es ist mir eine Freude, Sie kennen zu lernen, meine Liebe. Geht es Minnie gut?«
»Es geht ihr schon viel besser als zuvor.« Patience hatte ihre schäbige Kleidung vergessen und reagierte freundlich auf die Offenheit der Herzogin. »Sie hat sich vor ein paar Wochen erkältet, aber sie hat die Reise in die Stadt überraschend gut überstanden.«
»Wie lange will sie denn in der Stadt bleiben?«, fragte Honoria.
Bis sie den Dieb gefangen und das Gespenst demaskiert hätten. Patience hielt dem klaren Blick der Herzogin stand. »Ah …«
»Wir sind noch nicht sicher«, mischte sich Vane ein. »Es ist einfach nur einer der üblichen Besuche Minnies in der Stadt, aber diesmal hat sie ihre ganze Menagerie mitgebracht.« Er zog gelangweilt die Augenbrauen hoch. »Wahrscheinlich, um sich abzulenken.«
Honoria sah ihn lange genug an, um in Patience die Frage zu wecken, wie viel von Vanes Erklärung sie wohl glaubte. Dann aber richtete Honoria den Blick wieder auf Patience und lächelte warm und einladend – wesentlich freundlicher, als Patience es erwartet hatte. »Ich bin sicher, wir werden uns schon bald wiedersehen, Miss Debbington.« Honoria drückte Patience die Hand. »Ich lasse euch jetzt weiterfahren – zweifellos habt ihr noch einen anstrengenden Morgen vor euch.« Sie sah wieder zu Vane. »Und ich habe in der Tat noch einige Besuche zu erledigen.«
Vane nickte knapp mit zusammengepressten Lippen, dann gab er die Zügel frei.
Als sie weiter die Straße entlangrollten, warf Patience einen Blick in sein angespanntes Gesicht. »Die Herzogin scheint sehr nett zu sein.«
»Das ist sie auch. Sehr nett.« Und auch sehr neugierig und entschieden zu aufmerksam. Vane biss innerlich die Zähne zusammen. Er hatte gewusst, dass die Familie es irgendwann herausfinden würde, doch er hatte nicht gedacht, dass das schon so bald passieren würde. »Honoria ist entschieden die
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