Der Liebestempel
sagte ich munter. »Ungefähr fünf
Kilometer außerhalb der Stadt liegt ein neuer und sehr luxuriöser Friedhof, der Schöne Aussicht heißt. Er
gehört einem Burschen namens Fenwick , und im
Augenblick ist er einer der Hauptverdächtigen. Ich möchte, daß Sie dorthin
fahren und sich gründlich umsehen. Aber verraten Sie niemandem, daß Sie
Polizeibeamter sind. Spielen Sie den Unbeteiligten, so als ob Sie vielleicht
ganz flüchtig erwägen würden, sich dort ein Grab zu kaufen. Lassen Sie sich den
Friedhof zeigen und halten Sie nach etwas Umschau, das irgendwie merkwürdig
erscheint.«
»Na klar, Lieutenant!« Polnik sprang mit eifrigem Gesicht vom Stuhl auf. »He — das
ist mal ein gefundenes Fressen für einen Mörder. Nicht? Ich meine, einen
eigenen Privatfriedhof zu haben, auf dem er seine Opfer begraben kann!«
Ich schüttelte bewundernd den
Kopf. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht, Sergeant!«
»Ich bin schon unterwegs!«
»Moment mal!« Ich blickte auf
meine Uhr und stellte fest, daß es halb fünf war. »Ich glaube, es ist schon ein
bißchen spät, um noch hinauszufahren. Tun Sie es als erstes morgen früh, dann
haben Sie eine Menge Zeit, sich auf dem Friedhof umzusehen.«
»Wie Sie meinen, Lieutenant.« Polnik kämpfte eine Weile sichtlich gegen seine
Enttäuschung an, dann erhellte sich sein Gesicht wieder. »Vielleicht sollte ich
doch mal hinausfahren und einen Blick darauf werfen, nur um zu wissen, wo der
Friedhof liegt?«
»Warum nicht?« sagte ich, und
weg war er.
Annabelle blickte mit
unschlüssigen babyblauen Augen zu mir auf. »Ich weiß nie, wann Sie grausam zum
Sergeant sind und wann nett.«
»Bei Polnik kommt das nicht so darauf an«, sagte ich ausweichend, denn gelegentlich
beunruhigt mich das selber ein bißchen.
Sie runzelte vor
Gedankenkonzentration die Stirn. »Sagen Sie mir mal, Al — haben Sie je daran
gedacht, zu heiraten?«
»Nein«, sagte ich
wahrheitsgemäß.
»Haben Sie denn nie daran
gedacht, was Sie tun werden, wenn Sie alt sind?« sagte sie bedauernd.
»Na klar!« Ich nickte.
»Kräftigungspillen nehmen.«
Das reichte völlig. Sie schlug
ein klickendes Crescendo auf ihrer Schreibmaschine, riß nach ungefähr fünf
Zeilen das Papier heraus und riß es in kleine Fetzen. Ich sah, wie sich ihre
Hand zielstrebig nach dem schweren Eisenlineal auf ihrem Schreibtisch
ausstreckte, und so trat ich einen strategischen Rückzug in Richtung Tür an.
Es beunruhigte mich, daß ein so
prachtvolles Mädchen wie Annabelle überhaupt auf den Gedanken einer Heirat kam,
wenn sie sich mit einem unterhaltsamen, eingefleischten Junggesellen wie mir
verabreden konnte. Was konnte sich ein Mädchen mehr wünschen als Wheeler?
Solche und ähnliche Dinge fragte ich mich, während ich zu meinem Wagen
hinausging. Ich stellte diese Fragen natürlich nicht laut, für den Fall, daß
mir jemand darauf eine detaillierte Antwort gegeben hätte.
Das Seeufer und ich waren
demnächst alte Freunde, aber ich zog die Lage des Magnusonschen Hauses dem von Polniks »Eremiten« vor. Ein gewundener Graspfad führte zu dem verfallenen Fachwerkhaus, das
fast am Rand des Wassers stand. Der Geruch von Feuchtigkeit, der aus dem
Schilfdickicht hinter dem Haus aufstieg, durchdrang alles, und die Eingangstür
sah aus, als ob sie seit dreißig Jahren nicht mehr gestrichen worden sei. Ich
klopfte und zündete mir, während ich wartete, eine Zigarette an, um den
Schilfgestank aus meinen Nasenlöchern zu vertreiben.
Der Bursche, der die Tür
öffnete, paßte überhaupt nicht zu dem Haus. Er sah
eher aus, als gehörte er einer Jet-Mannschaft an und pflegte den
Sonnenuntergang über den Rand seines Daiquiri hinweg
in Acapulco oder Cannes zu beobachten. Sein blondes Haar war eine Fußmatte
kleiner Locken, und eine dunkle Brille mit schweren Bändern machte seine Augen
unsichtbar. Der Rest seines Gesichts war tiefbraun gebrannt, und die
zusammengepreßten dünnen Lippen standen in scharfem Kontrast zu den dicken
Wangen. Er war mittelgroß, hatte knapp zwanzig Pfund Übergewicht und trug ein
blitzblaues Hemd, eine enge, eine Schattierung hellere Hose und eine gepunktete
Krawatte. Blaue Wildlederstiefel vervollständigten das Bild, und vielleicht brauchte
er die dunkle Brille, um nicht von seiner eigenen Eleganz geblendet zu werden.
»Mr. Schaffer?« fragte ich.
»Wer will was von ihm?« Sein
Akzent klang nach dem Osten, aber es gab darin auch noch ein paar andere
Untertöne. Vielleicht war er einfach viel in der Welt
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