Der Liebestempel
das Schlimmste annehmen.«
Die anderen Räume fielen nach
dem Sarg und den psychedelischen Vorrichtungen stark ab. Sie entsprachen mehr
einem exklusiven Landklub in kleinem Stil, prächtig
möbliert und mit üppigen Teppichen ausgelegt. Der Tempel selbst war ein großer Raum, dessen Wände mit ekstatisch
aussehenden Männern, Frauen und Kindern bemalt waren. Mit Sicherheit hatte
keiner von ihnen je was von Sex gehört; und ich überlegte, daß ihnen das
Problem, woher wohl die lieben Kleinen gekommen waren, großes Kopfzerbrechen
bereitet haben mußte. Ungefähr dreißig Stühle standen einem Podium gegenüber,
hinter dem schwere mitternachtsblaue Vorhänge drapiert waren. Das Podium selbst
war leer bis auf einen eleganten weiß-goldenen Tisch, und irgendwie fühlte ich
mich enttäuscht.
»Jetzt ist nur noch das Büro
übrig«, sagte Justine . » Rafe ist wahrscheinlich dort. Wollen Sie ihn sprechen?«
»Vermutlich«, sagte ich ohne
jede Begeisterung.
»Ich habe vor der Zusammenkunft
noch ein paar Dinge zu erledigen, deshalb verlasse ich Sie jetzt. Jagen Sie ihm
nicht zuviel Angst ein. Ja?«
»Wahrscheinlich wird er mir
Angst einjagen«, brummte ich.
»Und ich komme gegen elf zu
Ihnen. Wärmen Sie den HiFi gut an. Wenn Sie jetzt in den Korridor hinauskommen, halten Sie sich rechts,
dann liegt das Büro direkt vor Ihnen.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen
und gab mir einen keuschen Kuß auf die Nasenspitze. »Da! Das muß für die
nächsten paar Stunden ausreichen.«
»Um mich in Ekstase zu
versetzen«, pflichtete ich bei.
Ich kam in den kurzen Genuß
eines flüchtigen Blicks auf ihr rundes rosiges Hinterteil unter der
durchsichtigen schwarzen Seide, dann verschwand sie aus meiner Sichtweite. Reine
Liebe war meiner Ansicht nach ein Ding der Unmöglichkeit, solange Justine in diesem Gewand herumhüpfte, aber vielleicht
verfügten alle Mitglieder des Tempels über starke Willenskräfte und waren nicht so liberal?
Die Bürotür stand halb offen,
deshalb klopfte ich und trat gleich ein. Kendall saß hinter einem Schreibtisch
und blickte verdutzt zu mir auf.
»Lieutenant Wheeler? Ich wußte
gar nicht, daß Sie uns besuchen wollten?«
» Justine hat mir den Tempel gezeigt«, sagte ich. »Sie haben es sehr hübsch hier.«
Er trug einen dunklen Anzug,
ein weißes Hemd und eine dezente Krawatte. Seine tiefgrauen Augen forschten ein
paar Sekunden lang in meinem Gesicht, dann lächelte er, und der Glanz ließ sein
Hemd vergleichsweise schmutziggrau erscheinen.
»Es freut mich, daß Ihnen unser Tempel gefällt,
Lieutenant. Sind Sie nur zu Besuch gekommen, oder handelt es sich um etwas
Dienstliches?«
»Um etwas Dienstliches«, sagte
ich energisch. »Haben Sie Mrs. Magnuson seit dem Mord gesehen?«
»Sie kam gestern
nacht zu privater Therapie hierher. Ich glaube, es hat ihr viel genützt,
und das freut mich. Als sie eintraf war sie sehr verstört — eine völlig
natürliche Reaktion.«
»Aber als sie ging, fühlte sie
sich besser?«
»Sie war viel, viel ruhiger — fast
gelassen.«
»Wer hat sie hier im Tempel eingeführt?«
Er überlegte einen Augenblick.
»Ich glaube, Paul Bryant. Er und ich, wir sind alte Freunde.«
»Es gibt hier noch ein weiteres
Mitglied, nach dem ich Sie fragen wollte — Fenwick .«
»Chuck!« Inneres Licht erhellte
plötzlich seine Augen. »Das ist ein Mensch, der mich immer wieder überrascht.
Unter dem rauhen Äußeren —«
»-schlägt ein Herz aus reinem
Gold?« sagte ich.
»-verbirgt sich ein sehr
einsamer und verängstigter Mann, der verzweifelt nach etwas Bedeutungsvollem in
seinem Leben sucht. Ich hoffe aufrichtig, daß er bei uns findet, wonach ihn
verlangt.«
»Wollen Sie damit sagen, daß
Sie ihn in Reichweite von Justine kommen lassen?«
fragte ich unverblümt.
Sein Gesicht unter der
Sonnenbräune errötete. »Ich schätze keine billigen Beleidigungen, Lieutenant.«
»Teure kann ich mir nicht
leisten«, sagte ich. »Erwarten Sie, daß ich wegen eines Burschen, der sein
Wohlleben mit einem Privatfriedhof finanziert, in Tränen ausbreche?«
»Selbst Privatfriedhöfe sind
notwendig. Mich bewegt nicht, was ein Mensch tut, sondern was er ist.«
»Das ist vermutlich der
Unterschied zwischen uns beiden.« Ich grinste ihn an. »Mich bewegt nur, was ein
Mensch tut, besonders wenn es sich um Mord handelt.«
Er sah mich verblüfft an.
»Wollen Sie behaupten, Chuck Fenwick sei ein Mörder?«
»Wer weiß?« Ich zuckte die
Schultern. »Unter dem rauhen Äußeren
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