Der Liebeswunsch
fürchtete, daß Leonhard wieder etwas Sarkastisches sagen würde. Aber er machte einen abwesenden Eindruck, als habe er
sich schon ganz in sich zurückgezogen. Ich wandte mich ab, um zu gehen, und bevor ich mich noch einmal umdrehen konnte, hörte
ich, wie er die Tür schloß.
Das war es, dachte ich. Und im ersten Augenblick fühlte ich mich erleichtert. Ich redete mir ein, daß ich jetzt frei sei und
meinem zukünftigen Leben mit Paul, jedenfalls von Leonhards Seite, nichts mehr im Wege stehe. Ich war sogar sicher, daß sich
unser Verhältnis zu Leonhard wieder einrenken lasse. Es mußte zunächst nur noch etwas Zeit vergehen. Ich wollte auch versuchen,
zu Pauls Frau und seinen und ihren beiden Töchtern eine gute Beziehung aufzubauen. Die Mädchen würden sicher irgendwann ihren
Vater besuchen wollen. Ich wollte mich dann mit der gebotenen Zurückhaltung, aber freundlich und herzlich um sie kümmern.
Die Mädchen sollten bei Paul und mir ein zweites Zuhause haben. Und vielleicht würde Pauls Frau nach einiger Zeit auch wieder
einen neuen Lebenspartner finden. Bezeichnenderweise habe ich das nie bei Leonhard gedacht. Für mich war er der geborene Einsiedler.
Und ich nahm an, daß das Scheitern unserer Beziehung diese Tendenz in ihm verstärken würde. Ich sprach oft mit Paul darüber,
der das genauso sah. Vor allem seit unserem Versöhnungswochenende, bei dem wir unseren Freundschaftsbund zu dritt »in veränderter
Konstellation« erneuerten – eine Formulierung, die Leonhard dafür fand –, waren Paul und ich davon überzeugt, er habe den Status des ewigen Junggesellen inzwischen mit einiger Erleichterung als das ihm gemäße Leben angenommen.
Um so überraschter waren wir, als er uns eröffnete, daß er beschlossen habe, Anja zu heiraten. Ziemlich bald zeigte sich uns,
daß diese unerwartete Ehe ein gut durchdachtes lebensstrategisches Programm von Leonhard war. Er wollte heiraten, weil das
seinem Bild eines Mannes in gehobener gesellschaftlicher Position entsprach. Aber nach dem Debakel mit mir hatte er sich umorientiert
und eine abhängige und prägbare Frau gesucht. Ich will damit nicht sagen, daß Anja ihm nicht auch sonst gefallen hätte. Sie
war eine aparte Frau, mit der er sich öffentlich sehen lassen konnte. Aber es nahm ihm wahrscheinlich einen Teil seiner Unsicherheit,
daß er ihr gesellschaftlich und bildungsmäßig in jeder Hinsicht überlegen war. Und bestimmt entsprach es auch seinem strategischen
Konzept, daß Anja, als sie aus Rom zurückkehrten, schwanger war.
Das Kind, ein Junge, mußte wegen einer beidseitigen Hüftluxation einige Zeit einen Gipsverband tragen, war aber sonst gesund.
Es war wohl nur eine heftige Form der häufigen Wochenbettlabilität, daß Anja in eine Depression abrutschte, die noch medikamentös
behandelt werden mußte, als sie schon einige Zeit wieder zu Hause war.
Aber sie war dort in guten Händen. Leonhard hatte für sie und das Kind eine Pflegerin engagiert, eine tatkräftige und erfahrene
ältere Frau, die früher Säuglingsschwester in einer gynäkologischen Station gewesen war. Mit ihrer Hilfe erholte sich Anja
und entwickelte sich zu einer passablen, wenn auch etwas ängstlichen Mutter. Was ihr das Kind bedeutete, weiß ich nicht. Ich
kam zufällig dazu, als sie Besuch von ihrer Mutter hatte, und konnte beobachten, daß sie deren wortreiche Begeisterung über das Kind schwer ertragen konnte. Ich glaube,
sie empfand das als ein demonstratives Entzücken, das direkt an sie gerichtet war. Die Mutter schien ihr ständig vormachen
zu wollen, wie sie sich über das Kind zu freuen habe. Anja reagierte darauf mit unterdrückter Gereiztheit und natürlich wiederum
mit Schuldgefühlen, die ihre Depression in den nächsten Tagen verstärkten.
Mir gegenüber äußerte sie die Zwangsidee, daß Leonhard von dem Jungen enttäuscht sei. Das war nach meinem Eindruck überhaupt
nicht der Fall. Leonhard war befremdet von Anjas Stimmungsschwankungen, auf die er sich nicht einstellen konnte. Er hatte
sich Anjas Heimkehr mit dem Kind anders vorgestellt. Zwar machte er ihr keine Vorwürfe, reagierte aber mit Zurückhaltung auf
ihre Zustände, gemäß seiner Neigung, es für höflich zu halten, unangemessenes Verhalten einfach zu übersehen.
Ich glaube, er begann zu begreifen, daß er nicht, wie er gedacht hatte, eine leicht prägbare, sondern eine schwierige Frau
geheiratet hatte. Aber sie war die Mutter seines
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