Der Liebeswunsch
waren, hatte aber ein zwiespältiges Gefühl. Ich wolltenicht an etwas rühren, was einsturzgefährdet war, und doch schienen wir es beide zu wollen, in einer merkwürdigen, ganz unvernünftigen
Komplizenschaft. Die Kraft, die uns dahin drängte, ging von ihr aus, von etwas, das sich in ihr angestaut hatte und sich einen
Weg bahnte und nicht mehr aufzuhalten war. Ich fühlte mich keineswegs solidarisch mit ihr, und wir hatten schon gar nicht
dieselben Interessen. Doch als wir uns im Haus gegenübersaßen, fühlte ich mich genötigt, sie zum Sprechen zu bringen.
»Was ist das eigentlich, das dich so gegen Leonhard und deine Mutter aufgebracht hat?« fragte ich.
Sie schaute mich an, als wolle sie herausfinden, weshalb ich das fragte und ob ein bedenklicher Nebensinn sich dahinter verbarg.
Dann senkte sie den Kopf, und als sie wieder aufblickte, sagte sie: »Die beiden sind wie eine Front.«
»Du meinst, sie haben sich gegen dich verbündet?«
»Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll. Leonhard ist, wie er ist. Und meine Mutter verehrt ihn. Er ist für sie mustergültig
und großartig und hat in allem recht. Und wenn ich seinen Erwartungen nicht entspreche, dann schämt sie sich für mich und
findet mich unmöglich und undankbar. Solange ich denken kann, hat sie an mir herumerzogen, immer natürlich, weil sie sich
Sorgen um mich machte und das Beste für mich wollte. Als ich heiratete, hatte ich gehofft, daß damit nun Schluß sei. Aber
nun sitzt sie an unserem Tisch und wirft mir mahnende Blicke zu, wenn ich etwas sage oder tue, was Leonhard nicht gefallen
könnte. Und sie strengt sich auch an, mir Daniel abspenstig zu machen. Ich habe keine Lust, mit ihr zu konkurrieren, weder
um Leonhard noch um Daniel. Mir ist das eigentlich alles so ziemlich egal.«
»So ganz glaube ich dir das nicht«, sagte ich.
»Kannst du aber.«
»Was hast du denn gegen Leonhard?« fragte ich und war mir schon im selben Augenblick bewußt, daß ich mir von ihrer Antwort
eine Bestätigung meiner eigenen Erfahrungen erwartete, und ärgerte mich über mich selbst.
»Entschuldigung«, sagte ich, »das geht mich ja nichts an.«
Sie zuckte die Achseln. Dann sagte sie in einem müden, überdrüssigen Tonfall: »Er ist ein respektabler Mensch. Bloß er animiert
mich nicht.«
»Pflegt er noch seine alten Hobbys?« fragte ich.
»Was meinst du?«
»Römische Kriegsgeschichte und stoische Philosophie.«
»Ja, er vergräbt sich darin. Mich verschont er damit.«
Ich wollte es dabei belassen. Doch sie schaute mich so nachdenklich an, als lege sie sich eine Frage zurecht, die sie mir
stellen könnte. Am liebsten hätte ich das vermieden, aber ich hatte sie wohl – unbeabsichtigt, doch vielleicht nicht ungewollt
– dazu eingeladen.
»Warum hast du ihn eigentlich verlassen?« fragte sie.
Mir war nicht klar, woher sie das wußte. Ich hatte es ihr nicht erzählt. Und ich hätte auch darauf gewettet, daß Leonhard
es ihr nicht erzählt hatte oder nur in dem allgemeinen Sinne, daß er von mir als von seiner alten Freundin sprach. Und Paul
und Anja hatten außer unseren gemeinsamen Unternehmungen keinen Kontakt miteinander gehabt.
Aber sie wußte es. Und ich sah ihrem Blick an, daß es sie beschäftigte und sie wohl schon lange vorgehabt hatte, mich danach
zu fragen. Wahrscheinlich hatte sie sogar eine Zeitlang darauf gewartet, daß ich es ihr erzählen würde. Und da ich das Thema
stets sorgsam umgangen hatte, war es zwischen uns zu einem Problem geworden. Auch jetzt hatte ich keine Lust, näher darauf einzugehen. Und so sagte ich kurz und bündig,
um dem Thema einen formelhaften und endgültigen Abschluß zu geben: »Ich habe Leonhard wegen Paul verlassen.«
Sie nickte. Es war eine nur angedeutete, undeutliche Bewegung, die wohl nicht an mich gerichtet war, sondern mir so vorkam,
als löse sie sich damit aus dem Gespräch und wende sich nach meiner Auskunft ihren Erinnerungen zu, die ihr nun in einem anderen
Licht erschienen. Ich glaubte zu wissen, was in ihr ablief. Hier, wo wir uns gegenübersaßen, in diesem Raum, in diesem Haus,
wo es noch genauso aussah wie damals, hatte vor mehr als vier Jahren ihr jetziges Leben seinen Anfang genommen. Paul und ich
waren zu unserer Ostasienreise aufgebrochen, und sie hatte in dieser Zeit unser Haus gehütet. Und Leonhard, der nach unserer
Abreise aufgetaucht war, ein innerlich verletzter und gekränkter Mann, hatte in ihr ein geeignetes Mittel gesehen,
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