Der Liebeswunsch
ihr zum
ersten Mal ein richtiges Gespräch. Ich hatte einen freien Tag und mußte erst um 16 Uhr im Krankenhaus sein, weil ich Nachtdienst
hatte. Anja wußte das und rief mich am Vormittag an. Sie wollte in die Stadt fahren und einige Besorgungen machen und fragte,
ob wir uns nicht anschließend zum Mittagessen treffen könnten. Wir verabredeten uns für halb eins in einem italienischen Restaurant,
in dem wir einmal abends zu viert gewesen waren. Ich saß schon da, als sie Minuten später eilig hereinkam. Und noch während
wir uns umarmten, entschuldigte sie sich für ihr Zuspätkommen: Sie habe leider in der Nähe keinen Parkplatz gefunden.
»Macht doch nichts«, sagte ich und lächelte sie an.
»Ach, ich bin so gedrillt worden, mich immer für alles bei jeder Gelegenheit zu entschuldigen«, sagte sie. »Ich hasse das,
aber ich kann nicht anders. Manchmal bin ich dann nachher extra unhöflich. Eigentlich habe ich gehofft, das einmal loszuwerden.«
Wir setzten uns. Ich wußte, wovon sie redete und unter welchem Druck sie zu Hause stand. Aber daß sie es ausdrückte, war schon
ein Fortschritt.
»Sei nicht so streng mit dir«, sagte ich. »Alles ist ganz normal.«
»Jetzt muß ich schon wieder an mich halten, um mich nicht bei dir für meine Geständnisse zu entschuldigen«, antwortete sie.
»Dann laß uns erst mal bestellen.«
Wir bestellten jeder nur eine Kleinigkeit – ich Spaghetti Pesto und Anja einen Rucola-Salat mit Parmesan. Dazu tranken wir
Mineralwasser. Ich mit Vorbedacht, um Anja,die einen unruhigen, gespannten Eindruck auf mich machte, nicht in Versuchung zu führen, wieder mit dem Weintrinken anzufangen.
Sie war keine chronische Trinkerin, die dauernd einen gewissen Alkoholspiegel brauchte, aber sie flüchtete sich in den Alkoholrausch,
wenn sie sich nicht gut fühlte. Im Augenblick war sie trocken. Und ich nahm an, daß ihr Leonhard auch deshalb den Polo gekauft
hatte, um sie in ihrer Abstinenz zu unterstützen.
Ich fragte sie nach Daniels Befinden, worüber es aber kaum Neues zu berichten gab. Ihre Hauptschwierigkeit war es jetzt, daß
sie zu Hause gymnastische Übungen mit ihm machen mußte, denen er sich zu entziehen versuchte, indem er sich keine Mühe gab
oder jammerte, daß er Schmerzen habe und nicht mehr könne. Sie war sich nicht im klaren darüber, ob er sich nur anstellte
oder sich zu Recht beklagte. Das machte sie zugleich unsicher und ungeduldig. Er war für sie nie ein einfaches Kind gewesen,
aber inzwischen kam sie kaum noch mit ihm zurecht.
Während wir darüber sprachen, hatte ich das deutliche Gefühl, daß das nicht die Dinge waren, über die sie mit mir reden wollte.
Es sah aber nicht so aus, als würde sie von sich aus zur Sache kommen.
»Wir müssen bald wieder zu viert etwas unternehmen«, sagte ich.
Sie zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich kann’s mir im Augenblick nicht vorstellen.«
»Ist deine Mutter noch bei euch?«
»Ja.«
»Dann hast du ja immerhin eine Hilfe.«
»Ja«, sagte sie wieder.
Es hörte sich an, als habe sie viel darüber mitzuteilen, verzichte aber lieber darauf. Eine Weile aßen wir schweigend. Dann
sagte sie: »Ich bin einfach abgehauen heute, weil ich die beiden nicht mehr ertragen konnte. Ich wollte nicht mit ihnen essen.«
»Du sprichst von Leonhard und deiner Mutter?«
»Ja.«
Ich wußte nicht, ob sie damit das Thema beenden wollte oder von mir erwartete, daß ich ihr Fragen stellte. Ich war unschlüssig,
denn es schien mir nicht angebracht, mit Anja über Leonhard zu sprechen. Das hatten wir bisher immer vermieden. Es gab aber
auch keine neutralen Themen, auf die wir hätten ausweichen können. Also schwiegen wir wieder und schoben uns die Reste unseres
Essens in die Münder. Es kam mir so vor, als beseitigten wir unsere Vorwände, hier zu sein.
»Mir hat’s gut geschmeckt«, sagte ich. »Und wie war dein Salat?«
»In Ordnung«, antwortete sie. »Ich lade dich heute ein.«
»Danke«, sagte ich.
Auf keinen Fall durfte ich die Einladung ausschlagen. Es hätte sie gekränkt. Es war eine ihrer Empfindlichkeiten, daß ich
wußte, wie wenig eigenes Geld sie hatte. Sie war die Arme, die Ausgehaltene in unserer Viererrunde.
»Möchtest du noch ein Dessert? Oder gleich einen Kaffee?« fragte sie.
»Ich hätte gerne noch eine Creme Caramel«, sagte ich. »Und den Kaffee trinken wir bei mir zu Hause.«
Ich ahnte, daß wir miteinander reden würden, wenn wir alleine
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