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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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Grund. Es
     war nur der Verdacht, der dieses vorsichtige Verhalten hervorbrachte und unseren Umgang miteinander veröden ließ.
    Mehr noch als unter dem möglichen Betrug litt ich unter der Ungewißheit, die ich nicht auflösen konnte. Inzwischenstand alles für mich in Frage, sogar, oder vor allem, die Unauffälligkeit, mit der sich Anja und Paul benahmen. Manchmal schien
     es mir, daß sie sich in meiner Gegenwart geradezu aus dem Weg gingen, als wollten sie auf diese Weise das Bild auslöschen,
     das sie mir einmal geboten hatten. Das hätte mich vielleicht allmählich von meinem Verdacht befreit, wenn ich nicht seit einem
     Jahr den Eindruck gehabt hätte, daß meine Ehe mit Paul an Substanz verloren hatte. Ich konnte es im Grunde nur so allgemein
     ausdrücken, denn es gab nichts Bestimmtes, woran es sich zeigte. Unser gemeinsamer Alltag kam meiner aufgereizten Aufmerksamkeit
     glatter und fadenscheiniger vor, und in unsere Zärtlichkeiten hatte sich etwas Schauspielerhaftes eingemischt, ein routiniertes
     Als ob zur immer wieder fälligen Bestätigung unserer Harmonie. Nein, wir hatten keine Konflikte. Aber an manchen Tagen glitten
     wir in unserem Haus aneinander vorbei wie zwei stumme Fische in einem Aquarium.
    Dabei ahnte ich, wie es Paul zumute war. Er war beruflich enttäuscht, weil er den angestrebten Chefarztposten nicht bekommen
     hatte. Und ich hatte ihn im Verdacht, daß er nach Kompensationen suchte. Das waren bei ihm Frauen, die ihn bewunderten und
     verwöhnten. Vermutlich vermißte er das bei mir.
    Über Anja wußte ich nichts, außer daß ihre Ehe mit Leonhard schlecht war und sie inzwischen den Mut gefaßt hatte, das deutlich
     zu sehen. Ich wußte nicht, wie sie damit fertig wurde. Offenbar gelang ihr das kaum schlechter, als es Paul und mir gelang.
     Hatte sie sich eine andere, geheime Quelle erschlossen, aus der sie lebte? Seit unserem Gespräch verschloß sie sich, und ich
     machte keinen Versuch, mich ihr wieder anzunähern.
     
    Dieser sich dahinziehende, geglättete Alltag war der Hintergrund, vor dem ich meinen alten Vorschlag erneuerte, gemeinsam
     nach Florida zu reisen. Ich dachte, daß ein enges Zusammenleben von zwei Wochen mir zeigen würde, wie Paul und Anja zueinander
     standen. Ich wollte um jeden Preis die Wahrheit wissen. Notfalls wollte ich sie herausfordern.
    Leonhard und Paul ließen sich ziemlich schnell für die Idee erwärmen. Von Anja aber kam Widerstand. Sie drückte sich allerdings
     nur vage und allgemein aus, als habe sie einfach keine Lust. Ich hatte von Anfang an den Eindruck, daß sie sich vor dem engen
     Zusammenleben fürchtete, wußte aber nicht, ob sich das auf uns alle oder nur auf Leonhard bezog. Da sie sich nicht klar ausdrückte,
     konnte sie sich mit ihrer Meinung nicht durchsetzen. Statt dessen brachte sie Daniel ins Spiel. Sie wollte, daß er mitreiste.
     Leonhard sprach sich dagegen aus. Der Junge sollte die täglichen Behandlungen nicht unterbrechen. Im übrigen verstünde er
     sich gut mit seiner Großmutter und Frau Schütte, die sicher bereit sei, für die Zeit unserer Reise jeden Tag in der Woche
     zu kommen. Das war Leonhards gewohnte Art, die Probleme zu lösen. Ich konnte jedoch nicht erkennen, was seine wirklichen Gründe
     waren. Mehr denn je war Daniel ein Streitpunkt zwischen seinen Eltern. Doch sie trugen ihre Gegensätze nicht offen aus, und
     meistens, auch diesmal, setzte sich Leonhard mit seiner Meinung durch.
    Wir flogen Ende Februar in die Gegend südlich von St. Augustine, der ältesten Stadt der USA. Das Haus, in dem wir zwei Apartments
     gemietet hatten, hieß Sea Matanza. Es lag auf einer schmalen, langgestreckten Halbinsel mit dem Namen Anastasia Island, die
     im Osten vom Atlantik und imWesten von einer schmalen Wasserstraße umschlossen war, in der sich der Matanzas River fortsetzte. Hartnäckig tauchte dieses
     Wort auf. Später habe ich erfahren, daß Matanza auf deutsch Gemetzel hieß. Hier, wo wir wohnten, hatten 1565 die Spanier eine
     Armee von sechstausend halbverhungerten schiffbrüchigen Franzosen ins Wasser getrieben und niedergemacht. Als ich das im Reiseführer
     las, sah ich die Szene wie ein verborgenes Wasserzeichen im Bild dieser schönen Urlaubslandschaft, in der, dreißig oder vierzig
     Meter von den ausrinnenden Wellen des Atlantiks entfernt, unser gemietetes Haus stand. Sea Matanza. Auf den Wellen schaukelten
     fischende Pelikane.
    Inzwischen weiß ich, wie widersinnig mein eifersüchtiges Kalkül war,

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