Der Liebhaber meines Mannes
ihn warten, beschloss ich. »Ja«, sagte ich. »Warum nicht?«
An der Bar stellte Julia einen Fuß auf das Messinggeländer, das unten herumlief, und wartete darauf, bedient zu werden. Ein Mann mit sehr wenigen Zähnen starrte sie an. Sie nickte ihm zu, worauf er wegsah. Dann sah sie mich an und grinste und ich war beeindruckt, wie stark sie wirkte, als sie da an der Bar stand, zu allem oder für jeden bereit. Durch ihr glattes schwarzes Haar, ihren roten Lippenstift fiel sie überall auf, wohin sie auch ging, aber hier war sie wie ein Leuchtfeuer. Als sie bestellte, war ihre Stimme so laut und klar, dass jeder im Raum sie hören konnte, trotzdem sprach sie nicht leiser. Ich fragte mich, was sie wirklich von diesem Ort hielt, der so offensichtlich nicht ihre natürliche Umgebung war. Julia gehörte nicht in schmutzige, nach Bier stinkende Pubs, dachte ich; zumindest war das nicht die Welt, in die sie hineingeboren war. Ich stellte mir vor, dass sie in ihrer Jugend an Wochenenden ein Pferd geritten, an Pfadfinderlagern teilgenommen, mit ihrer Familie auf den westlichen schottischen Inseln Ferien gemacht hatte. Das Komische jedoch war, dass es mich überhaupt nicht störte, dass wir aus unterschiedlichen Verhältnissen kamen. Ihre offensichtliche Unabhängigkeit, dass sie den Mut hatte, anders auszusehen oder zu klingen, das alles, stellte ich fest, wollte ich selbst auch.
Als sie unsere Drinks auf den Tisch stellte, fragte sie mich fröhlich: »Und was sind deine politischen Ansichten, Marion?«
Beinahe hätte ich einen Mund voll Portwein mit Limo auf ihren Schoß gespuckt.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ist das eine unpassende Frage? Vielleicht hätte ich damit warten sollen, bis wir noch einige Drinks gehabt haben.« Sie lächelte mich an, aber ich hatte das Gefühl, dass ich irgendwie geprüft wurde, und ich wollte die Prüfung unbedingt bestehen. Mir fiel unsere Unterhaltung beim Abendessen auf der Isle of Wight ein, Patrick, und nachdem ich die Hälfte meines Drinks hinuntergekippt hatte, erklärte ich: »Na ja. Erstens findeich, Mütter sollten arbeiten gehen können. Ich bin für Gleichheit. Zwischen den Geschlechtern, meine ich.«
Julia nickte und murmelte Zustimmung, wartete aber offenbar auf weitere Offenbarungen.
»Und ich finde diese Sache mit den Wasserstoffbombentests schrecklich. Entsetzlich. Ich überlege, ob ich mich an der Kampagne dagegen beteilige.« Das stimmte nicht ganz. Zumindest nicht bis zu dem Moment, in dem ich es sagte.
Julia zündete sich noch eine Zigarette an. »Ich war beim Ostermarsch. Es finden regelmäßige Treffen dazu in der Stadt statt. Du solltest mal vorbeikommen. Wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können, damit es alle erfahren. Eine Katastrophe steht bevor und die meisten Menschen kümmern sich mehr darum, was die verdammte Königsfamilie anhat.«
Sie wandte den Blick von mir zur Bar und blies den Rauch nach oben.
»Wann ist das nächste?«, fragte ich.
»Samstag.«
Ich sagte einen Moment nichts. Tom hatte versprochen, am Samstagnachmittag mit mir auszugehen, obwohl du dran warst, ihn zu treffen. Es war sein Vorschlag, eine Art Entschädigung dafür, dass er mit dir nach Venedig fuhr. Eure Reise war für Mitte August geplant und Tom hatte gesagt, er würde bis dahin jeden Samstag mit mir verbringen.
»Selbstverständlich«, sagte Julia, »lassen sie dich nicht ohne Fair-Isle-Pullover und Pfeife rein.«
»Dann muss ich alles tun, um die Sachen aufzutreiben«, sagte ich. Wir lachten uns an und hoben die Gläser.
»Auf den Widerstand«, sagte Julia.
Als Tom mich fragte, wo ich an dem Abend gewesen sei, sagte ich ihm die Wahrheit – es wäre ein harter Tag gewesen und Julia undich hätten bei einem Drink darüber gesprochen. Er schien fast erleichtert, das zu hören, obwohl Julia das über dich gesagt hatte. »Ich bin froh, dass du dich mit Freunden triffst«, sagte er. »Ausgehst. Du solltest auch häufiger Sylvie sehen.«
Ich sagte Tom nichts von meinen Plänen für Samstag. Ich wusste, er würde nichts davon halten, dass ich zu einer politischen Versammlung ging. Ehefrauen von Polizisten durften so etwas nicht tun. Als ich ihm erzählte, wie entsetzt ich über die letzte Anordnung des Schulleiters war, dass das gesamte Kollegium eine Unterrichtsstunde zum Thema, wie man einen Atomangriff überlebt, halten sollte, war seine Antwort gewesen: »Warum sollten sie nicht vorbereitet sein?« Und er ging von Brot und Butter zum Kuchen über, den ich als gute,
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