Der Lilienpakt
Arm nicht in Anspruch, trottete aber neben ihm her.
Das Ächzen der Mühlenflügel war schon von Weitem zu hören. Ansonsten war bei der Mühle alles still. Wo war der Müller? Wusste Aramitz, dass er nicht anwesend war?
Als wir direkt vor der Mühle standen, deren Mauern weiß getüncht und deren Flügel mit verwaschenem aprikosenfarbenem Stoff bespannt waren, wurde offenbar, dass diese Mühle schon lange kein Korn mehr mahlte. Die Ablage für die Säcke war ebenso leer wie der Wagen. Alles wirkte sauber und ordentlich – aber verlassen.
»Was hat das zu bedeuten?« Eine Krähe landete auf dem Mühlenkopf und gab mir eine Antwort, die ich nicht verstand. Aramitz’ Entgegnung war allerdings nicht wesentlich klarer.
»Die erste Regel für einen Spion lautet: Lass die Wirklichkeit anders erscheinen, als sie ist. Jeder, der hier vorbeireiten würde, könnte sehen, dass die Mühle noch in Betrieb ist, das Herrenhaus aber unbewohnt.«
»Und welchen Sinn soll das haben?«
»Vielleicht den, Diebe abzuhalten. Oder einen Ort uninteressant wirken zu lassen. Welcher Reisende interessiert sich schon für die Mühle? Man sieht sie, glaubt, dass hier ein Müller sein Tagwerk tut, und weiß, dass es hier nichts zu holen gibt. Damit hat es sich.«
»Also ist die Mühle eine Ablenkung.«
Aramitz nickte. »Das ist sie, denn wer sie sieht, wird sich für das Dahinter nicht interessieren. Das Gut ist von der Straße aus nicht zu erkennen. Man sieht nur die Felder. Glaubt mir, hierher kommt nur jemand, der weiß, was es hier gibt.«
»Und Ihr meint, dass sich die Schwarze Lilie hier nicht blicken lassen würde?«
»Welchen Grund hätte sie? Einen harmlosen Müller behelligen selbst sie nicht. Und wenn sie doch herkommen, sehen sie, dass die Mühle verlassen ist. Wo es keinen Müller gibt, da ist auch nichts zu holen.«
»Und warum zeigt Ihr mir diesen Ort jetzt?«
»Hier werden wir üben, Comtesse. Der Innenraum ist voller Hindernisse, ideal, um eine andere Art des Kampfes zu üben.«
»Ihr meint den Straßenkampf? Was das angeht, habe ich schon Erfahrungen gesammelt.«
»Aber nicht genug. Ihr werdet lernen, Gegebenheiten von Räumen und Gegenstände im Kampf zu nutzen. Und zu überleben. Aber dazu kommen wir später. Wollen wir uns die Mühle einmal von innen ansehen?«
Ich nickte, worauf er die Tür aufsperrte. Neugierig trat ich ein. Noch nie zuvor war ich im Inneren einer Mühle gewesen.
Der Müller musste schon seit vielen Jahren fort sein.
Im Licht, das durch die schmalen Fenster fiel, sah der aufwirbelnde Staub wie ein Schleier aus, der sich quer durch den Mühlenraum spannte.
Dennoch lag auf dem Boden der Staub nicht so dick, wie ich erwartet hätte. Der Innenraum wirkte aufgeräumt, in den Kerben des großen Mühlsteins lag noch etwas Mehlstaub. Irgendwo über uns flatterten Tauben, die hier ihr Winterquartier bezogen hatten.
»Hier soll ich kämpfen?«
Aramitz nickte. »Ja, und zwar im gesamten Raum. Ihr dürft jeden erdenklichen Winkel nutzen.«
»Und gegen wen soll ich kämpfen?«
Der Musketier lächelte hintergründig, antwortete aber nicht.
»Doch wohl nicht gegen Euch!«
»Warum denn nicht? Habt Ihr Angst? Athos meinte, Ihr könntet sehr gut mit dem Degen umgehen.«
»Ich habe keine Angst«, entgegnete ich. »Wenn Ihr wollt, können wir gleich beginnen.«
»Das wäre alles andere als fair, meint Ihr nicht? Immerhin seid Ihr verletzt.«
»Wäre es denn so schlimm für Euch, von einer Verwundeten geschlagen zu werden?«
Darauf lachte Aramitz nur. Obwohl mir nicht fröhlich zumute war, stimmte ich ein.
Als wir verstummten, herrschte kurz Stille. Dann fragte ich: »Was kommt danach? Wenn alles vorbei ist.«
Aramitz begriff, dass ich nicht unseren Besuch in der Mühle oder ein Übungsgefecht meinte.
»Das kann ich noch nicht sagen. Fest steht, dass wir früher oder später die Königin um Schutz bitten müssen.«
Niedergeschlagen ließ ich die Schultern sinken. »Dann werde ich wohl nie mehr in das Schloss meines Vaters zurückkehren können.«
Aramitz sagte nichts, aber ich spürte, dass die Antwort auf meine Frage Nein war.
»Euer Leben hat sich verändert. Ihr dürft nicht dem nachtrauern, was vergangen ist. Und auch nicht über das hadern, was nicht zu ändern ist.«
»Und wie soll ich das machen? Mein Leben wird durch meine Herkunft wohl immer ein Fluch sein.«
»Das ist nicht wahr.« Aramitz griff nach meiner Hand. Das weiche Handschuhleder fühlte sich wie ein Mausefell an. »Nicht
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