Der Lilienpakt
jeder Mensch kümmert sich um Eure Herkunft! Wir werde dafür sorgen, dass Ihr ein normales Leben führen könnt – und ein glückliches.«
Ein normales Leben. Wollte ich ein normales Leben führen? Ein glückliches Leben schon, aber ich dürstete noch immer nach Abenteuern. Passte das zu dem Bastard einer Königin?
»Ich wäre lieber weiterhin die Tochter des Comte d’Autreville gewesen«, sprach ich meine Gedanken laut aus. Ehe ich es verhindern konnte, lief mir eine Träne übers Gesicht.
Aramitz wischte sie behutsam ab. »Letztlich wird es an Euch sein, zu entscheiden, was Ihr sein wollt, wenn das alles vorbei ist. Aber manchmal ruft uns das Schicksal. Manchmal haben wir keine andere Wahl, als unsere Bestimmung anzunehmen. Daran solltet Ihr denken.«
Und was sollte diese Bestimmung sein? Von Wahnsinnigen verfolgt zu werden, die über eine kleine Armee und viele Spione verfügte? Die nicht davor zurückschreckten, Menschen zu töten? Deren Spezialität der Hinterhalt war?
Wer sagte mir denn, dass es vorbei sein würde, wenn die Schwarze Lilie besiegt war? Wäre es nicht möglich, dass sich erneut Männer zusammenfanden, um mir zu schaden?
Als wir in das Château zurückkehrten, strömte uns der Duft von Gewürzen und Früchten entgegen. Dominik kam mit einem Tablett mit Gewürzwein auf uns zu. Neben der Karaffe lag Kuchen. Mir lief unwillkürlich das Wasser im Mund zusammen. Wie lange schon hatte ich keinen Kuchen mehr gegessen?
»Gehen wir in den Salon. Durch die lange Abwesenheit eines Hausherrn kann man nicht behaupten, dass es hier so gepflegt wie in Paris ist, doch man kann sich hinsetzen, ohne sich irgendwelche Wanzen einzufangen.«
Der ›Salon‹ war ein riesiger Saal, dessen Bodenfliesen im Schachbrettmuster ausgelegt waren. Im Kamin brannte ein Feuer, das den Raum nicht zu erwärmen vermochte. Auf der Chaiselongue lag ein dickes Fell. Ich schätzte, dass es früher einem Bären gehört hatte. Es gab auch eine Decke aus Wolfsfell.
»Gegen Abend wird es hier kalt«, erklärte Aramitz und deutete auf die Fenster, hinter denen das Tageslicht verblasste. »Nehmt Euch die Decke und wickelt Euch gut ein. Und dann trinkt etwas von dem Wein, der wird Euch von innen wärmen.«
Aramitz reichte mir einen Becher Wein, der noch immer heiß genug war, um sich den Mund daran zu verbrennen. Während mir das mit Gewürzen versetzte Aroma in die Nase stieg und ich den Dampf über den Rand pustete, legte der Musketier etwas Kuchen auf einen Teller und stellte diesen dann vor mir ab. Ich nahm einen Schluck Wein und griff dann nach dem Kuchen. Er erinnerte mich an unsere Köchin und an die Weihnachtszeit bei uns zu Hause. Woher mochte Aramitz ihn wohl haben?
Da mein Magen vor Hunger rebellierte, verzehrte ich zwei Stück Kuchen und trank den Wein dazu. Aramitz beobachtete mich schweigend.
Der Wein hatte es in sich. Er schoss wie flüssiges Feuer durch meine Adern und ließ meine Glieder schwer werden.
Während ich langsam dem Schlaf entgegendämmerte, vernahm ich Aramitz’ Stimme, die sich an den Diener wandte.
»Dominik, sag den anderen Bescheid, dass sie sich auf den Weg machen sollen.«
Der blonde Junge zog sich daraufhin zurück.
Ich fragte mich, welchen Auftrag die beiden Diener erledigen sollten, doch bevor ich die Frage laut stellen konnte, schlief ich ein.
9
Trübe waren die Tage für den alten Fechtmeister geworden. Er war von einer tiefen Traurigkeit erfüllt, besonders jetzt im Winter. Bei Tag ging er müde und lustlos seinen wenigen Beschäftigungen nach, bei Nacht zündete er sich eine Kerze an und starrte stumpf sein Spiegelbild im Fenster an.
Es verging kaum eine Stunde, in der er nicht die Särge der d’Autrevilles vor sich sah. Obwohl man sie bei seiner Ankunft bereits verschlossen hatte, konnte er sich genau vorstellen, wie die Toten ausgesehen hatten. Die Zeit als Soldat hatte ihm das Gesicht des kalten Gevatters nur zu deutlich gezeigt.
Der Verlust jedes einzelnen Mitgliedes der Familie d’Autreville hatte ihn aufs Tiefste getroffen. Am meisten betrauerte er aber die Comtesse.
Was hätte aus ihr werden können!, ging es ihm immer wieder durch den Sinn. Mit ihrer Schönheit und ihrem Mut hätte sie bei Hof sicher großes Aufsehen erregt.
Christine war temperamentvoller als ihre Brüder gewesen, hatte ein überaus gutes Gehör und ein starkes Handgelenk gehabt. Von Anfang an focht sie geschickter und konzentrierter als die Jungen. Das und ihre Schönheit hatten Nancy für sie
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