Der Lilienpakt
kreidebleich um die Nase.
Ich atmete zitternd durch. Fast war es, als hätte ich gerade erst aufgehört, um ihn zu weinen.
»Er wurde von der Schwarzen Lilie angegriffen. Sie haben ihn im Duell erstochen.«
Jules schüttelte ungläubig den Kopf. »Warte, ich komme nach unten.«
Bevor ich ihn zurückhalten konnte, verschwand er vom Fenster. Ich kletterte nicht vom Baum hinunter. Wenn er etwas erfahren wollte, musste er zu mir hoch, denn ich hatte nicht vor, mich von Monsieur Garos erwischen zu lassen.
Wenig später tauchte Jules auf. Auf mein Zeichen kletterte er herauf. Der Ast schwankte ein wenig unter seinem Gewicht, war aber stark genug, um uns beide zu tragen.
»Erzähl, was ist geschehen?«
Jules roch wie immer nach Stroh, Buttermilch und einem leichten Anflug von Ruß.
»Die Dinge sind komplizierter geworden«, antwortete ich seufzend, während ich ein Stück Rinde vom Baumstamm pulte.
»Geht das denn überhaupt noch?«
Ich seufzte. »Es war in gewisser Hinsicht meine Schuld. Er war bestimmt verwirrt.«
»Worüber?«
»Er hat herausgefunden, dass ich ein Mädchen bin.«
Jules schnappte nach Luft. »Wie?«
»Wir sind in einen Hinterhalt der Schwarzen Lilie geraten. Athos wollte mit mir einen Freund aufsuchen. Rodolphe Blanchet war auch ein Freund meines Vaters. Bevor dieser mich entlarven konnte, wurde er von einem Bolzen getroffen. Leider traf der zweite Bolzen mich. Athos hat mich gepflegt und natürlich gesehen, dass ich kein Junge bin.«
»Und wie hat er darauf reagiert?«
»Ich war ein paar Tage ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, sagte ich Athos die Wahrheit. Er reagierte ein wenig merkwürdig auf meine Beichte, doch er erzählte mir auch, dass er meinen Vater gekannt hätte. Der Bund, dem sie beide angehörten, nennt sich Lilienpakt.« Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. »Das Schicksal hat mich genau zu ihm geführt, ohne dass ich davon wusste.«
»Eher die Notiz deines Vaters«, korrigierte mich Jules.
»Meinetwegen auch die. Ich wusste nicht, wieso, aber auf einmal wollte er unbedingt zu irgendeinem Bekannten. Er verschwand, ohne dass ich ihn nach dem Grund hätte fragen können. Nach einer Weile tauchte eben jener Bekannte bei mir auf, ein gewisser Henri d’Aramitz.«
»Ah, der Spion der Musketiere.«
»Du kennst ihn?«
»Seit einiger Zeit macht er bei Duellen von sich reden. Und er soll wichtige Erkundigungen eingezogen haben. Vielleicht kann er dir helfen.«
»Das wird er ganz sicher.«
Wie gern hätte ich ihm jetzt die Wahrheit gesagt! Sie wütete und brannte in mir, gleichzeitig wusste ich, dass ich allein schon deshalb nichts verraten durfte, weil ich Jules und seine Familie nicht in Gefahr bringen wollte.
»Jules, wo steckst du?«, ertönte plötzlich die Stimme von Monsieur Garos. Der Waffenschmied war also auch schon auf den Beinen.
»Ich muss wieder los.« Jules zog entschuldigend die Schultern hoch. »Wann sehen wir uns wieder?«
»Das weiß ich nicht. Aramitz meinte, es sei besser, wenn ich untertauche. Sie wollen mich aus der Stadt hinausschaffen, nehme ich an.«
»Und wohin?«
»Das wollte er mir nicht verraten. Und es wäre auch besser, wenn du es nicht weißt.«
»Wieso?«
»Weil du sonst in Gefahr wärst.«
»Aber das bin ich doch ohnehin schon. Vielleicht ist dir die Schwarze Lilie gefolgt.«
Ich legte ihm die Hand auf die Lippen. »Das solltest du nicht einmal im Spaß sagen! Ich habe Sorge getragen, dass mir niemand folgt. Außerdem interessiert sich niemand für einen schmutzigen Burschen wie mich.«
»Jules, bei allen Heiligen, wo bist du?«
»Du solltest wirklich gehen«, sagte ich. »Ich möchte deinem Vater nicht unter die Augen kommen. Und sage ihm auch bitte noch nicht, dass Athos tot ist.«
»Werde ich nicht. So wie er sich anhört, ist seine Laune schon übel genug, da muss ich die Sache nicht noch schlimmer machen, indem ich ihm berichte, dass er einen seiner besten Kunden verloren hat.«
Jules sah mich kurz an, dann beugte er sich unvermutet vor und drückte mir einen Kuss auf die Lippen.
Bevor ich irgendwie reagieren konnte, flüsterte er: »Pass auf dich auf, Comtesse. Und wenn du kannst, gib mir Nachricht.«
Dann war er auch schon vom Baum hinunter. Sein Kuss vertrieb für einen kurzen Augenblick nicht nur meine innere Unruhe, er ließ mich auch von einem Leben jenseits von allem, was hier geschehen war, träumen.
Erst als ich Monsieur Garos fluchen hörte, kam ich wieder zu mir. Ich kletterte rasch vom Baum hinunter,
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