Der Lilienpakt
zuvor habe ich einen Menschen so klagen hören wie meine Mutter.
Das Blut rauschte mit einem Mal so heftig in meinen Ohren, dass ich kaum noch hören konnte, was anschließend geschah. Ich schluchzte lautlos, krümmte mich zusammen und zitterte.
»Wo ist sie?«, durchbrach eine Männerstimme das Klagen. Erneut schrie meine Mutter auf. »Verdammt, rede, Weib!«
Doch meine Mutter sagte nichts. Sie weinte nur still vor sich hin.
»Ich wollte Euer Leben schonen, doch wenn Ihr nicht redet, fahrt Ihr ebenfalls zur Hölle! Wollt Ihr das?«
»Ich werde nichts sagen«, entgegnete Mama entschlossen, »Tötet mich meinetwegen, dann nehme ich das Geheimnis mit ins Grab.«
»Wie Ihr wollt!«
Ein Schrei erklang.
Maman! Ich presste mir die Hände auf den Mund, damit ich nicht aufschrie. Was sollte das nur? Warum töteten diese Männer meine Familie? War ich die Nächste, die sterben sollte? Und was suchten sie überhaupt?
Papas Worte kamen mir wieder in den Sinn: Wenn alles vorbei ist, klopfe ich dreimal an die Tür … Sollte das innerhalb der nächsten Stunden nicht geschehen, verlässt du das Schloss durch den Gang … Du nimmst dir eines der Pferde und reitest nach Calais. Dort fragst du nach Monsieur Dupree. Der wird dich in Sicherheit bringen.
Wollten sie mich? Aber warum?
Plötzlich wurde es totenstill. Das Gewitter schwieg, und man konnte beinahe glauben, auch die Besucher hätten sich in Luft aufgelöst. Dann hörte ich, wie jemand ausspuckte und gegen etwas trat.
»Durchsucht das Haus!«, donnerte die Männerstimme, die meine Mutter bedroht hatte. »Jeden Winkel. Wenn ihr jemanden findet, fragt ihn zuerst und tötet ihn dann.«
Stiefel trampelten durch die Halle, begleitet von Degenklirren.
Vor lauter Furcht und Panik wagte ich kaum zu atmen. Mein Herz schlug so laut, dass ich meinte, man könnte es bis oben hören.
Sollte sich dir wider Erwarten irgendwer entgegenstellen, töte ihn!, hörte ich die Stimme meines Vaters. Ich wusste, dass ich jetzt durch den Geheimgang hinaus ins Freie sollte. Aber mein Körper weigerte sich. Ich war nicht einmal in der Lage aufzustehen. Zitternd blieb ich sitzen und blickte beschwörend zu der Luke hinauf. Tränen liefen mir über das Gesicht.
Plötzlich näherten sich Schritte. Vor dem Schrank machten sie halt.
»Vielleicht sollten wir hier auch hineinschauen«, schlug eine raue Männerstimme vor.
»Das ist ein Schrank für Fechtwesten«, antwortete sein Begleiter. »Was soll hier schon drin sein?«
»Na, das, wonach wir suchen!«
Ich hielt den Atem an. Das Blut hämmerte in meinen Schläfen.
Würden sie den Zugang finden?
Noch immer fürchtete ich mich vor dem finsteren Schlund vor mir. Doch wenn sie hier hereinkamen, würde ich flüchten.
Über mir knarrte die Schranktür. Mein Innerstes fühlte sich an, als würden Vögel in meinem Bauch flattern. Vielleicht wäre jetzt der ideale Augenblick gewesen, zu verschwinden, doch meine Beine waren wie gelähmt.
Ein Lichtstrahl drang durch einen Spalt in der Luke. Noch verbargen mich die aufgestapelten Fechtwesten, doch was, wenn die Männer gründlicher nachsahen?
»Was habe ich dir gesagt?«, brummte der zweite Mann, der mit der sanfteren Stimme. »Alles nur alte, mottenzerfressene Westen.«
Der andere schlug die Schranktür zu. Die Schritte entfernten sich vom Schrank.
»Was meinst du, Raoul, sollten wir uns nicht eine dieser feinen Klingen mitnehmen?«, fragte der Raustimmige schließlich. Ich hörte, wie er einen Degen aus dem Fechtständer zog.
»Lass sie besser, wo sie sind, der Capitan wird es nicht gern sehen, wenn du etwas stiehlst«, wandte sein Kamerad ein. »Außerdem sind wir wegen etwas anderem hier.«
»Glaubst du, das weiß ich nicht, Grünschnabel?«, fuhr ihn der andere an. »Außerdem, wer sollte mich anklagen?«
Sein Begleiter gab seufzend auf. »Mach doch, was du willst.«
Ich hörte, wie eine Klinge aus der Scheide gezogen und wieder hineingeschoben wurde.
Die Zeit verrann zäh, während die Männer das Schloss durchkämmten. Schließlich trampelten die Stiefel wieder über den Hof. Zuerst befürchtete ich, dass sie erneut ins Schloss kommen würden, doch dann knirschte Leder und klirrten Geschirre. Pferde tänzelten unruhig auf der Stelle. Die Männer saßen wieder auf!
Während sich das Hufgetrappel entfernte, schluchzte ich ungehemmt und mit klappernden Zähnen vor mich hin. Ich klammerte mich an meinen Degen, während in schneller Abfolge Bilder und Geräusche durch meinen Kopf
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