Der Lilienpakt
dessen Spitzen lilienförmig in den Himmel ragten. Die weißen Gebäude nahe dem Louvre wirkten wie ein Palais, doch es handelte sich um das Hauptquartier der Mousquetaires du Roi.
Es gab zwei Gattungen: die grauen Musketiere, die in Schlachten die Fußtruppen unterstützten, und die schwarzen Musketiere, welche die Elitetruppe des Königs bildeten und seinem persönlichen Schutz dienten. Ihren Namen erhielten sie aber nicht, wie man hätte meinen können, von ihrer Uniform, sondern von ihren Pferden.
Auf der sandigen Freifläche vor den Gebäuden standen heute nur schwarze Pferde. Ein Dutzend Männer übte sich im Fechten, weitere zehn im Musketenschießen. Ich bewunderte die schweren, prachtvoll verzierten Läufe der Musketen, die auf langstielige Gabeln gestützt werden mussten, um mit ihnen zu feuern. Während die Lunte herunterbrannte, hatte der Schütze Zeit zu zielen. Das sah bei den Männern am Schießstand ganz einfach aus, aber ich wusste aus Papas Erzählungen, dass dies besonders am Anfang recht schwierig war, denn wenn die Ladung abgefeuert wurde, trieb dies die Waffe nach hinten. Das führte nicht selten dazu, dass die Waffe verrissen und das Ziel verfehlt wurde.
Die Männer hier hatten bereits Erfahrung. Als ihre Schüsse krachten, blieben die Läufe gerade und die Kugeln fanden sicher ihr Ziel. Unter denen, die warten mussten, bis sie an der Reihe waren, brandete Applaus auf.
Obwohl auch ich die Schützen für ihr Können bewunderte, faszinierte mich der Kampf mit der Klinge wesentlich mehr. Ich sah den versierten Fechtern mit offenem Mund zu, und ein Kribbeln erfasste meine Fechthand. Wie gern hätte auch ich wieder geübt!
Ein paar junge Kadetten mühten sich gerade, ihre beim Kampf durcheinandergeratenen Tuniken zu ordnen, die aus Brust-und Bauchtuch und zwei Tüchern über den Schultern bestanden. An den gelben Flammen, die zwischen die Balken des Lilienkreuzes gestickt waren, erkannte ich, dass diese Männer der Zweiten Kompanie angehörten. Die Tunika meines Vaters hatte rote Flammen gehabt – als Zeichen der Ersten Kompanie.
Die Ähnlichkeit der beiden Burschen mit meinen Brüdern erfüllte mich mit tiefer Trauer. Was hatte meine Familie getan, um derart bestraft zu werden?
Tränen ließen die Kreuzzeichen vor meinen Augen verschwimmen. Als ich die Nase hochzog, legte mir Jules sanft die Hand auf die Schulter.
»Deine Brüder wären sicher gute Musketiere geworden.«
Er hatte genau erfasst, was ich gedacht hatte.
»Das wären sie.« Am liebsten hätte ich mich Jules weinend an die Brust geworfen, doch ich nahm mich zusammen und wischte mir die Tränen von den Wangen.
»He, was ist mit dem Burschen?«, fragte plötzlich eine Männerstimme.
Wir blickten zur Seite. Vor uns stand ein älterer Mann mit Spitzbart und grau meliertem Haar. Er trug einen schwarzen Rock, Stulpenstiefel, schwarze Hosen und einen rot gefütterten Mantel. Er musste der Sänfte entstiegen sein, deren Träger mit schmerzverzerrten Gesichtern ihre Rücken streckten. Ich konnte es nicht fassen! Auch Jules schien den Graubart zu erkennen, denn er erstarrte augenblicklich. »Monsieur de Troisville, bitte vergebt unserem Lehrling. Er ist gerade nach Paris gekommen und hat Heimweh.«
»Und das überkommt ihn, wenn er den Musketieren bei ihren Übungen zuschaut?«
»Es überkommt ihn zu jeder unpassenden Gelegenheit«, antwortete Jules schnell, bevor ich etwas entgegnen konnte. »Aber glaubt mir, wenn er erst einmal eine Weile bei uns ist, wird sich das geben.«
»Du bist der Sohn des Waffenschmiedes Garos, richtig?«
»Ja, Monsieur, der bin ich.«
»Richte deinem Vater meine Grüße aus. Wenn ich eine neue Waffe benötige, werde ich bei ihm vorbeischauen.«
»Das ist sehr gütig von Euch, Monsieur de Troisville.« Jules verneigte sich tief.
»Und du, Kleiner«, wandte sich der Hauptmann der Musketiere an mich. »Sollte deine Traurigkeit doch andere Ursachen haben, dann lerne fechten und komm zu uns. Ich bin stets bereit, Musketiere einzustellen, die gut mit ihrem Degen und der Muskete umgehen können. Dazu brauchen sie gar nicht adelig sein, was zählt, ist der Mann!«
Dann ging er weiter.
Das war er nun, der berühmte Troisville! Ich wünschte so sehr, Papa von dieser Begegnung berichten zu können.
»Wir müssen zurück.« Jules zog mich am Ärmel. Im selben Augenblick setzte Glockenläuten ein. Eine böse Ahnung überkam mich. Eine Weile hallte das Dröhnen durch die Stadt. Alles schien zu erstarren. Die
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