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Der Lilienpakt

Der Lilienpakt

Titel: Der Lilienpakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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vergessen, das sich zu ihren Füßen abspielte. Hoch ragten die Doppeltürme in die Höhe. Die Sonne ließ das bunte Glas der Fensterrosetten aufleuchten. Fast schien es, als würde Gott tatsächlich an diesem Ort wohnen.
    Schließlich überquerten wir die Pont au Change, die Geldwechslerbrücke, auf der sich die Häuser aneinanderdrängten, und näherten uns dem Hôtel de Ville, dem Rathaus von Paris.
    Auf der Place de Grève gerieten wir in eine große Menschenmenge. Die Luft war vom Geruch nach Rauch und Gebratenem erfüllt. Auf einem Blutgerüst in der Mitte stand ein bulliger Mann mit entblößtem Oberkörper und Ledermaske. Bedächtig schliff er sein Beil mit einem Stein.
    »Wir haben Glück!«, stieß Jules aus. »Es gibt eine Hinrichtung.«
    »Das soll ein Glück sein?«
    Mich schauderte. Vielen Leuten jeglichen Standes bereitete es Vergnügen, eine Hinrichtung zu beobachten. Mir nicht. Papa hatte als Lehensherr auch Gericht gehalten, doch nie Todesurteile ausgesprochen.
    Jules bemerkte mein Unbehagen. »Hast du etwa Angst?«
    »Natürlich nicht!«, entgegnete ich, obwohl mir flau im Magen wurde. Ich konnte aber nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte.
    Jules’ Grinsen verschwand augenblicklich. »Wenn du … Ich meine, wenn das …«, stammelte er.
    Ich ahnte, worauf er hinauswollte.
    »Keine Sorge, es ist nicht wegen … meiner Familie. Der Mann, der dem Henker vorgeführt wird, hat es wohl verdient, oder?«
    Jules nickte beklommen.
    »Dann lass uns sehen, wo er bleibt.«
    Glücklicherweise waren so viele Menschen vor uns, dass wir nicht mehr sahen als den Henker auf dem Podest. Wie Bienensummen schwirrten die Stimmen der Zuschauer über unseren Köpfen. Doch plötzlich wurde es still. So still, dass man die quietschenden Räder des Henkerskarrens hören konnte.
    Vor dem Podest hielt das Gefährt, das von zwei schwarzen Pferden gezogen wurde. Büttel hoben den Verurteilten vom Karren. Viel war von ihm nicht übrig. Seine Beine waren zerschunden, sein Körper voller Brand-und Zangenmale.
    »Was hat er getan?«, flüsterte ich Jules zu, worauf ich ein wütendes »Sch!« von einer Frau in der Nähe erntete.
    »Das wirst du gleich hören.«
    Ein Mann in schwarzem Talar und weißer Halskrause stieg auf das Podest. Zuerst hielt ich ihn für einen Geistlichen, doch es war der Richter.
    »Am heutigen Tage wird das Urteil gegen Robert Derrier vollstreckt werden, der des Giftmordes in drei Fällen und der Teilnahme an gotteslästerlichen Ritualen für schuldig befunden wurde.«
    Buhrufe wurden laut. Aus der vordersten Reihe flogen ein paar alte Kohlköpfe und Steine. Der Mann krümmte sich zusammen, als er getroffen wurde.
    »Habt Ihr noch etwas zu sagen, Monsieur?«, fuhr der Richter ungerührt fort.
    »Fahrt zur Hölle!«, heulte der Verurteilte. »Ihr alle!«
    Die Henkersknechte packten ihn und schleiften ihn zum Richtblock. Im Jubel der Menschenmenge gingen seine Schreie unter.
    Ich wandte mich ab. Ich hatte das Gefühl, mein Magen würde sich gleich umdrehen. »Lass uns gehen«, flüsterte ich Jules zu.
    »Warum? Das Beste kommt noch!«
    In dem Augenblick ertönte ein dumpfes Geräusch. Die Menge jubelte auf. Offenbar hatte der Henker nur einen Hieb gebraucht, um den Kopf vom Rumpf des Mörders zu trennen. Ich sah trotzdem nicht wieder hin. Wenn man die Mörder meiner Familie zum Richtblock führte, würde das etwas anderes sein.
    Ich griff nach Jules’ Hand und zog ihn mit mir.
    »Na, Kleiner, hast du schon genug?«, spottete eine Männerstimme hinter mir. Ein paar Leute lachten auf. Mir war es einerlei. Ich wollte nur weg von hier.
    Fast zerrte ich Jules weiter in Richtung Louvre. Hier kamen uns hin und wieder kleine Trupps von Musketieren entgegen. Die Reiter lenkten ihre Pferde an den Passanten vorbei und setzten dabei eine wichtige Miene auf. Diese nahmen von den Reitern kaum Notiz. Doch ich staunte mit offenem Mund. »Komm weiter!« Jules zupfte mich am Arm. »Vielleicht sehen wir die Königin.«
    Wir eilten durch eine schmale Gasse und gelangten schließlieh auf eine breite, von Ulmen gesäumte Straße, die zu einer anderen Welt zu gehören schien. Damen in leuchtend bunten Gewändern flanierten hier an der Seite von ebenfalls prächtig gekleideten Kavalieren.
    »Das ist der Cours la Reine«, erklärte Jules. »Die Straße, auf der die Reichen und Mächtigen der Stadt unterwegs sind. Nirgendwo sind die Waren der Händler erlesener, nirgendwo sieht man mehr Geschmeide, Seide und Spitzen.«
    Ich

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