Der Lilienpakt
beinahe gestürzt wäre. Ich fing mich wieder, trat aber in eine Schlammpfütze und beschmutzte nicht nur meine Schuhe, sondern auch den Mantel des Musketiers, was nichts anderes bedeutete, als dass ich ihn noch in dieser Nacht waschen musste, wollte ich mir keinen Ärger einhandeln.
Nachdem ich noch weiteren Betrunkenen ausgewichen war, konnte ich endlich durch die Tür treten.
Ein Brodem aus Wein, Pisse und altem Kohl strömte mir entgegen. Während die meisten Männer von einem Bürschchen wie mir keine Notiz nahmen, kam eine ziemlich beleibte Frau auf mich zu und grinste mich schamlos an.
»Na, Kleiner, soll ich dir mal zeigen, wie’s geht?« Dabei lupfte sie ihren Rock so weit, dass ich ihre dicken nackten Schenkel sehen konnte. Ihr Atem, der wohl von ihren verfaulten Zähnen kam, drehte mir den Magen um.
»Nein danke, ich brauche keine Einweisung«, sagte ich schnell und hob abwehrend die Hand. Bevor die Frau noch etwas sagen konnte, war ich an ihr vorbei. Während mich immer wieder neugierige Blicke trafen und ich nicht nur einmal angerempelt oder geknufft wurde, erreichte ich schließlich den Tresen. Das Mädchen dahinter, das etwa in meinem Alter war, lächelte mich an. »Ich bin Amelie. Und wie ist dein Name?«
»Christian«, antwortete ich und vergaß dabei, die Stimme zu senken.
»Du hast aber eine helle Stimme«, staunte Amelie. »Bist du etwa einer von denen?« Sie machte eine Handbewegung, die an eine Schere erinnerte. Ich verstand nicht, was sie meinte.
»Von welchen?«
»Na, den Kastraten?«
Jetzt verstand ich. Seit jeher schmückten sich Königspaläste und auch Kirchenfürsten mit Sängern, die schon als Kinder entmannt wurden, um ihre reine mädchenhafte Singstimme zu erhalten.
»Nein, ich bin keiner von denen«, entgegnete ich, bemüht, meine Stimme jetzt doch etwas tiefer klingen zu lassen.
»Schade.« Amelie schob bedauernd die Unterlippe vor. »Ich hätte so gern einmal einen Kastraten singen gehört. Das ist hier in Paris nur den Reichen vergönnt.«
»Vielleicht solltest du nach Notre Dame gehen«, schlug ich vor. »Bei besonderen Messen singen diese Chöre bestimmt.«
Amelie seufzte bedauernd und griff sich an den schon mehrfach geflickten Rock. »In diesem Aufzug lassen sie mich bestimmt nicht rein. Und durch die Mauern der Basilika dringt kein Laut, so dick sind sie. Wenn ich nicht einen reichen Mann finde, werde ich wohl nie hören, wie ein Kastrat singt.«
Jetzt blickte sie mich prüfend an. »Du siehst aus, als wärst du bei einem reichen Mann angestellt. Vielleicht heiratest du mich ja?«
»Vergiss es!«, platzte es aus mir heraus. »Ich bin … Ich meine nur …« Beinahe wäre mir herausgerutscht, dass ich ein Mädchen sei.
Amelie grinste breit.
»Du bist noch zu jung zum Heiraten!«
»Ich bin sechzehn. Da haben andere Mädchen schon einen Gemahl.«
Ich lächelte schief. Das war genau das, was ich immer hatte vermeiden wollen. Aber tatsächlich schien es Mädchen zu geben, die sich auf Ehe und Mutterschaft freuten.
»Ich kann nicht dein Gemahl werden und damit basta. Such dir einen anderen.«
»Amelie, was hältst du da Maulaffen feil?«, donnerte eine Männerstimme. Das Mädchen verdrehte die Augen.
»Ich beeil mich ja schon, Papa!«
Meine Absage schien sie nicht weiter zu verärgern.
»Also, was möchtest du haben?«
»Wein für meinen Herrn, den Musketier Athos.«
»Ah, trinkt er also schon wieder!«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Wie redest du denn über ihn?«
»Es ist keine Lüge und auch kein Geheimnis«, gab Amelie keck zurück. »Hin und wieder wird Monsieur d’Athos von Melancholie überfallen, sodass er herkommt und einen ganzen Weinkrug leert. Meist schläft er dann auf dem Tisch ein, manchmal lärmt er auch herum. Mich wundert, dass er dich diesmal schickt. Sonst ist doch immer sein anderer Diener gekommen, so ein blasser Kerl.«
Diese Bemerkung schnürte mir die Kehle zu. Mir fiel wieder der Mann aus der Seine ein. »Ich bin neu«, erklärte ich in der Hoffnung, sie würde mich nicht nach meinem Vorgänger fragen. »Er hat mich erst vor ein paar Tagen angestellt.«
»Der andere ist ihm wohl weggelaufen, wie?« Ohne meine Antwort abzuwarten, sah Amelie rasch zur Seite, dann griff sie nach meinem Weinkrug. Offenbar hatte sie bemerkt, dass ihr Vater wieder zu ihr herübersah.
Während die blutrote Flüssigkeit aus dem Zapfhahn des Weinfasses in den Krug strömte, hatte ich Gelegenheit, sie näher zu betrachten.
Ihr lockiges Haar war an
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