Der Lilienpakt
Bauchschmerzen vorschützen können, um hierzubleiben. Aber da packte mich Athos schon am Ärmel und zog mich mit sich.
Wir stiegen die Marmortreppe hinauf und begegneten einigen Musketieren. Athos grüßte sie kurz, nahm sich aber nicht die Zeit, mit einem von ihnen ein Gespräch anzufangen.
Einen Kadetten fragte er schließlich nach dem Aufenthaltsort von Monsieur Blanchet.
»Er müsste in seinem Kabinett sein«, antwortete der Bursche, der ein wenig meinem Bruder Roland ähnelte. Bevor ich Zeit hatte, mir den Musketier näher anzusehen, zog mich Athos auch schon weiter.
»Es wäre gut, wenn du deine eigenen Füße gebrauchen würdest, und ich dich nicht ziehen müsste wie eine störrische Ziege!«, schimpfte er unterwegs, dann ließ er mich wieder los. Ich versuchte Schritt zu halten, was bei der Länge seiner Beine nicht ganz einfach war.
Schließlich kamen wir zu einer hohen Flügeltür. Das Holz war mit Intarsien geschmückt. Ich entdeckte zierliche Lilien und Federn, die das Wappen des Königshauses umgaben. Ich hätte nicht gedacht, dass Blanchet sein eigenes Arbeitszimmer hatte. So etwas stand doch eigentlich nur Monsieur de Troisville zu.
»Dass du dich ja ordentlich benimmst, Bursche!«, mahnte mich Athos. »Mach mir vor Monsieur Blanchet keine Schande, hörst du?«
»Habe ich Euch jemals Schande gemacht?«, entgegnete ich, worauf er mich am Ohr zog.
»Aua, was soll das?«
»Halte lieber deinen vorlauten Mund!«
»Ja, Monsieur.« Er ließ mich wieder los und klopfte an.
Ein blutjunger Page öffnete uns. Auch er trug die Farben der Musketiere. Auf den Ärmeln seines Wamses war jeweils eine Lilie eingestickt.
Das Kabinett war allerdings leer.
»Verzeiht, Monsieur Blanchet wollte hinaus auf den Übungsplatz«, erklärte der Bursche. »Gewiss findet Ihr ihn dort.«
Also mussten wir nach unten. Ich hätte mich über die kleine Verzögerung freuen können, doch meine Bauchschmerzen verstärkten sich noch. Außerdem pochte und brannte mein Ohr. Das war das erste Mal, dass Athos mich gezüchtigt hatte. Offenbar war der Grund, weshalb er Blanchet aufsuchen wollte, sehr unangenehm.
Während Athos die Treppe hinunterstürmte, versuchte ich Schritt zu halten, damit er mich nicht noch einmal am Ohr packte.
Wir liefen durch einen verspiegelten Fechtsaal, der noch höher und größer als der unseres Schlosses war. Die Fechter hier kämpften nicht nur miteinander, sondern übten auch an starren und beweglichen Figurinen, bei denen auf Brusthöhe ein Herz aufgemalt war, das es zu treffen galt. Die Kommandos der beiden Fechtmeister hallten durch den Raum, und kurz glaubte ich Maître Nancy zu erblicken. Natürlich war er es nicht, aber der Mann in dem weiten Hemd, den rostroten Kniehosen und den blank polierten hohen Stiefeln ähnelte ihm sehr.
Schließlich verließen wir den Fechtsaal in Richtung Hof. Der Schnee türmte sich dort noch höher als an den Straßenrändern. Dennoch war in der Mitte ein Areal frei geräumt worden – der Schießplatz, denn im Inneren des Gebäudes konnte man keine Schießübungen machen, ohne Schäden anzurichten und Trommelfelle platzen zu lassen.
Blanchet stand mit dem Rücken zu uns.
»Soll ich hier warten?«, fragte ich unbehaglich, während ich an der Treppe verharrte.
»Warum denn das?«
»Vielleicht wollt Ihr mit Monsieur Blanchet etwas bereden, was nicht für meine Ohren bestimmt ist.«
»Wenn dem so wäre, hätte ich dich zu Hause gelassen«, entgegnete Athos. »Und jetzt komm und zier dich nicht wie eine alte Jungfer.«
Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Ich hielt mich trotzdem im Hintergrund. Hohe Herren hatten die Angewohnheit, Diener zu übersehen, wenn sie nicht mit einem Anliegen zu ihnen geschickt wurden. Ich hielt Blanchet nicht für solch einen Mann, aber ich hoffte, dass Athos’ Auftauchen ihn so weit ablenken würde, dass er nicht auf mich achtete.
Während wir uns dem Schießstand näherten, feuerten die Musketiere ihre Waffen ab. Ein ohrenbetäubendes Krachen hallte über den Platz. Wahrscheinlich hörte man es selbst noch an der Seine.
»Leutnant Blanchet?«, fragte Athos und nahm Haltung an. Offenbar war Papas Freund auch sein Ausbilder gewesen.
»Athos! Obwohl ich jeden Tag hier bin, habe ich Euch lange nicht mehr gesehen!«, rief Blanchet aus, ohne zunächst von mir Notiz zu nehmen. Er ergriff die Hand des Musketiers und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Ich hoffe, es geht Euch gut! Ich habe gestern Eure
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