Der Lilienpakt
Nachricht erhalten, deshalb bin ich heute hiergeblieben.«
»Mir geht es gut, Leutnant Blanchet. Allerdings habe ich beunruhigende Nachrichten.«
Als sei das ein Stichwort gewesen, fiel Blanchets Blick auf mich. »Wer ist der Bursche da?« Die Frage war kaum heraußen, da kniff er die Augen zusammen. Verdammt, er erkannte mich!
»Das ist mein Diener, Christian. Ein Milchbart, der aber treu zu seinem Herrn steht.« Athos wandte sich mir lächelnd zu. »Und der nur Unsinn anstellt, sobald man ihn alleine lässt.«
Blanchet sagte zunächst nichts dazu. Er starrte mich nur an, wie er es auch schon bei seinem Besuch getan hatte. Wahrscheinlich würde er Athos gleich darüber aufklären, wen er sich da als Pagen angelacht hatte.
»Christian, so, so«, murmelte Blanchet abwesend. Sein Blick bohrte sich wie eine Lanze in mich. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein und sah ihn flehentlich an. Gut, ich mochte ihn nicht, aber er war Papas Freund. Sicher hatte ihn die Kunde von dem Überfall bereits erreicht.
Ich konnte förmlich beobachten, was für Gedanken ihm durch den Kopf gingen. Doch dann wandte er sich ab und richtete das Wort wieder an seinen Freund.
»Lasst uns einen kleinen Spaziergang machen, bei dem Ihr mir alles erklären könnt.«
Ich rechnete damit, dass ich zurückbleiben sollte, doch da sagte Athos: »Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich meinen Diener mitnehme?«
»Wenn das, was Ihr mir zu sagen habt, nicht allzu geheim ist?«
»Ich habe vor meinem Diener nur wenige Geheimnisse«, gab der Musketier lachend zurück. »Dieses hier kann er hören.«
Blanchet nickte ihm zu und warf dann noch einen Blick auf mich. Ein anderer Mann hätte mir vielleicht verschwörerisch zugezwinkert oder mir sonst bedeutet, dass er mich nicht verraten würde. Er nicht. Vielmehr wirkte er, als zweifelte er noch ein wenig an dem, was er sah.
Wir begaben uns auf den Paradehof. Schnee säumte die Wege, die von den Pferdehufen schlammig getreten waren. Um diese Jahreszeit gab es keine Paraden oder öffentlichen Waffenübungen. Die Musketiere arbeiteten in großen Fechtsälen an der Vervollkommnung ihrer Kampffähigkeiten. Die meisten waren allerdings beim Königsschloss stationiert, um die Königin zu bewachen. Durch Athos hatte ich erfahren, dass die Königin das Testament ihres Gemahls erfolgreich angefochten hatte. Die Bevölkerung war darüber weder erfreut noch erbost – bis jetzt. Dennoch hielt sich die Garde bereit, die Königin und den Dauphin zu schützen.
Während die Steinchen unter unseren Stiefeln knirschten, fühlte ich mich wie damals im Mai, als ich Papa und Blanchet durch unseren Park gefolgt war. Nur dass es jetzt nicht so angenehm warm und ich nicht mehr unbeschwert war.
Eine Weile noch schwiegen die beiden Männer gedankenversunken, dann begann Athos. »Es gibt Nachrichten von unserem Freund. Allerdings keine guten.«
Blanchet sah ihn an. Seine Augen weiteten sich. »Ist er …«
»Nein, das nicht, aber seine Entführer haben sich gemeldet.«
Blanchet blickte nun zu mir herüber. Wann würde er es Athos endlich sagen?
»Und was verlangen sie?«
»Sie …«
Plötzlich vernahm ich ein Geräusch. Es klang so schrill wie das Summen einer Mücke. Doch diese gab es zu dieser Jahreszeit nicht. Ich sah mich um und bekam gerade noch mit, dass etwas an mir vorübersauste. Dann stöhnte Blanchet auf.
Als ich herumwirbelte, sah ich, dass ein Armbrustbolzen zwischen seinen Rippen steckte. Ein Blutfleck breitete sich rasch auf seiner Brust aus.
»Leutnant!«, rief Athos aus, während er den Zusammensinkenden auffing.
Blanchet stöhnte auf.
»Christian, lauf hinein und hol den Feldscher!«
Fassungslos starrte ich auf den Verletzten, dann sprang ich auf. Im nächsten Augenblick traf mich ein schrecklicher Schlag. Ich spürte keinen Schmerz, wusste aber, dass ich getroffen worden war. Mein Herz begann zu rasen, ich schnappte nach Luft, konnte aber keine in meine Lungen bekommen. Die Welt verschwamm vor meinen Augen, und das Letzte, was ich hörte, war Athos’ Aufschrei.
3
Das alte, etwas schwerfällige Pferd mühte sich die Straße hinauf. Das Pflaster unter seinen Hufen war sehr uneben, hier und da fehlten kleine Steine, was den Weg noch beschwerlicher machte. Der Bursche, der den Wagen lenkte, war in einen dunklen Mantel gehüllt. Für gewöhnlich hasste er seine Arbeit, besonders an eisigen Tagen wie diesem. Gott wollte es so, dass im Winter mehr Menschen starben als im Sommer – der Junge wusste nicht
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