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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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kujoniert das Mädchen.«
    »Kujoniert? In welcher Form?«
    »Bitte, Monsieur.«
    »Sie betritt unaufgefordert Graciellas Zimmer, richtig? Und meine Tochter regt sich darüber auf. Richtig?«
    »Richtig.«
    »Berlinde ist ihre Tante. Sie und Madame kümmern sich um die weibliche Seite ihrer Erziehung. Sie, Mademoiselle, kümmern sich um die wissenschaftliche und sprachliche Ausbildung. Mischen Sie sich nicht ständig in die Gebiete ein, die Sie nichts angehen. Meine Tochter entwickelt sich zu einem verzogenen Balg.«
    »Ihr Vorwurf ist ungerecht.«
    »Ja, stimmt, sie ist nicht verzogen. Und sie ist kein Balg. Aber sie neigt zum Eigensinn.«
    »Und einen eigenen Sinn schätzen die Herren nicht an den jungen Mädchen.«
    »Sehr richtig.«
    »Sie auch nicht?«
    »Nein, auch ich nicht.«
    »Glauben Sie eigentlich, dass Frauen eigensinnige Männer mehr schätzen?«
    Verblüfft starrte er sie an.
    »Männer sind die natürlichen Führer des schwachen Geschlechts.«
    »›Dein Licht, dein Haupt, dein Fürst, er sorgt für dich …‹«
    »Ich sehe ein, es war ein gewaltiger Fehler, Sie mit in das Theater zu nehmen.«
    »Ach, Käthchen bestätigt doch nur, was Sie sagen!«
    »Mademoiselle, der Ton macht die Musik. Ihr blendender, junger, schauspielender Freund hat sehr klar gemacht, wer da von wem gezähmt wurde.«
    »Ein Jammer, nicht? Und eine Schande für die männliche
Welt. Ein Weib hat mit seiner wohlkalkulierten Untertänigkeit den stolzen Herren gezähmt. Einen der natürlichen Führer des schwachen Geschlechts.«
    »Beizeiten, Mademoiselle, könnten Sie mit etwas Nachgiebigkeit sicher mehr erreichen.«
    »Nicht möglich, Monsieur. Der Fall hier liegt anders. Petruchio liebte im Grunde den Eigensinn seines Käthchens. Sie aber würden mich sofort durchschauen und diese Gefügigkeit gegen mich verwenden. Ich habe höflich und sanft gebeten, erinnern Sie sich? Zu Beginn unseres Gespräches habe ich mit ruhiger Stimme die Bitte geäußert, Graciella den Schlüssel zu ihrem Zimmer zur Verfügung zu stellen.«
    »Und sich dann mit nervenzermürbender Beharrlichkeit geweigert, einen Grund dafür anzugeben.«
    »Schätzen Sie Wankelmut mehr als Beharrlichkeit?«
    »Sie lenken vom Thema ab.«
    »Stimmt. Geben Sie ihr den Schlüssel bitte, verehrter Monsieur Raabe.«
    »Wenn Sie mir in dem gleichen lieblichen Ton einen triftigen Grund nennen.«
    »Frau Berlinde kujoniert Graciella.«
    »Sie gehen mir auf die Nerven, Marie-Anna.«
    »Ich werde Ihnen so lange auf die Nerven gehen, bis Sie meine Bitte erfüllen.«
    »Halten Sie endlich den Mund und gehen Sie!«
    »Nein. Ich werde den Mund nicht halten. Sie haben nur zwei Möglichkeiten, mich zum Schweigen zu bringen – entweder Sie stimmen zu, oder ich verlasse noch heute das Haus! Für immer!«
    Sie sahen einander mit funkelnden Augen an, dann machte Valerian Raabe einen Schritt auf Marie-Anna zu. Seine heisere Stimme klang drohend, als er sagte: »Ich weiß noch eine dritte Möglichkeit.«
    Standhaft blieb Marie-Anna an ihrem Platz stehen,
auch noch als sich seine Linke langsam auf ihren Hals zu bewegte. Er hob ihr Kinn damit leicht an und fuhr dann mit dem Daumen der rechten Hand sacht erst über ihre Ober-, dann ihre Unterlippe.
    »So zum Beispiel.«
    Dann drückte er zart auf ihre Unterlippe, so dass sich ihr Mund ein wenig öffnete, und beugte sich vor, um ihn mit dem seinen zu bedecken. Sie legte ihre Hände auf seine Brust und hob ihm den Kopf entgegen. Der Kuss war süß, zärtlich und wurde fester, fragender, als sie sich an ihn lehnte.
    Es klopfte an der Tür.
    Valerian ließ Marie-Anna los und machte einen Schritt zum Schreibtisch hin.
    »Marie-Anna, Papa?«, fragte es draußen.
    »Komm herein, Graciella«, rief Marie-Anna, und das Mädchen schlüpfte durch die Tür.
    »Bitte, ihr seid schon so lange hier drin. Ich möchte nicht, dass ihr euch meinetwegen streitet.«
    »Ich habe mit Marie-Anna nicht gestritten, Graciella. Wir hatten nur eine etwas eingehendere Diskussion über die natürliche Vorrangstellung des Mannes gegenüber den Frauen. Und – ach ja, das nichtige Problem eines Schlüssels für dein Zimmer haben wir auch gestreift.«
    Graciella wurde rot und sah angstvoll zu Marie-Anna hin.
    »Es ist gut, Ciella.«
    »Ich habe in meinem Schreibtisch oben die Schlüssel zu jedem Raum. Ich werde dir den deinen nachher auf den Nachttisch legen.«
    »Danke, Papa.«
    »Doch ich würde es begrüßen, wenn jemand deines Vertrauens zusätzlich einen Schlüssel

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