Der Lilith Code - Thriller
nicht auf den ersten Blick. Rechtsextreme aus Europa schließen sich mit radikalen Siedlern aus Israel zusammen. Der Grund: der gemeinsame Feind Islam. Und so war es auch bei den religiösen Gruppen. Evangelikale und fundamentalistische Juden bildeten eine neue Front gegen den aus ihrer Sicht zerstörerischen Feind des Abendlandes.
Bevor die Busse abfuhren, würde sein alter Freund ihn zum Frühstück besuchen. Robinson hatte den Rabbi vor vielen Jahren in Washington auf einem Kongress der »Christian Coalition« kennen- und schätzen gelernt. Sie verbanden ein tiefer Glauben und ein ebenso tiefer Hass gegen die Araber. Robinson hatte zwei Söhne im Irak verloren. Aber sein Glaube gab ihm nach seiner Pensionierung Antworten auf die quälenden Fragen nach dem Warum.
Und der Rabbi? Er hatte vor wenigen Monaten noch in einer spektakulären Rede gefordert, die Blutrache gegen arabische Terroristen einzusetzen, also die gesamte Familie des Täters auszulöschen. Er belegte diese These mit einem Wort der Bibel, wonach Gott von den siegreichen Juden forderte, alle Amalekiter zu töten und niemanden zu schonen.
»Es heißt bei Elijah: So ziehe nun hin und schlage die Amalekiter … Verschone sie nicht, sondern töte Mann und Weib, Kinder und Säuglinge!«, hatte er der begeisterten Menge zugerufen. Natürlich war das liberale jüdische Establishment in den USA wie auch in Israel schockiert und hatte sich distanziert. Wie immer, dachte Robinson damals, mussten einige wenige die dreckige Arbeit machen. Aber jetzt nahte der Tag. Seine ganz private Koalition mit dem Rabbi und dem Sonderling aus Syrien würde die Ernte bald einfahren dürfen. Und so war auch der Name der Aktion »Harvest« von ihm mit Bedacht gewählt worden.
Zwischen den Olivenbäumen parkte eine dunkle Limousine. Der Kies knirschte unter den Reifen. Zwei kräftige Männer mit Sonnenbrillen und ausgebeulten Jacketts sprangen heraus, einer öffnete die Tür des Fonds. Der Rabbi stieg aus, schritt eilig über den frisch bewässerten Rasen auf Robinson zu. Sein langer schwarzer Mantel schleifte über das Grün. Sein grauer Hut mit dem weißen Pelz spendete Wärme statt Schutz vor der Hitze. Er musste bei den schon jetzt hohen Temperaturen fürchterlich schwitzen. Unter seinem rechten Arm trug er einen Stapel Papiere und Akten. Die Augen, versteckt hinter dicken Brillengläsern, wirkten gehetzt. Der Rabbi war im Morgengrauen von Jerusalem in den Norden gefahren worden. Seine Bodyguards blieben in der Nähe der Veranda und zündeten sich eine Zigarette an.
Robinson erhob sich, umarmte den alten Mann und wies auf einen Stuhl. »Schalom, ein schöner Morgen, nicht wahr, Rabbi?«
Der nickte nur und lockerte den Gürtel seines Mantels. »Nicht alles läuft so, wie wir es uns gedacht haben. DieAraber verhalten sich noch zu ruhig. Ob Gaza oder der Südlibanon, nirgendwo Aktivitäten. Unser Angriff auf die Perser ist von Ihrem verfluchten Präsidenten vereitelt worden. Uns läuft die Zeit davon.« Er griff nach der Wasserflasche, die vor ihm auf den Tisch stand, und trank in gierigen Schlucken, wobei er seinen langen weißen Bart, der in wirren Haaren von seinem Gesicht abstand, nach unten drücken musste.
Der Reverend wog den Kopf sachte hin und her. »Kennen Sie unseren Begriff der ›Dispensation‹?« Robinson wartete die Antwort nicht ab. »Dispensation ist eine Zeitspanne in Gottes Plan. In diesen Zeitspannen spricht Gott zu uns, in Worten, in Taten, Bildern, Segnungen oder Geschehnissen. Euer alter Bund mit Gott wurde abgelöst durch die Zeitspanne der Apostel. Und jetzt ist das Zeitalter des Millenniums. Lesen Sie die Scofield-Bibel. Wir können dem Ende nicht entrinnen. Es ist da, die Zeichen sind eindeutig.«
Der Rabbi wurde nervös. Ausgerechnet Cyrus Scofield, ein amerikanischer Ex-Trinker und Pleitier, hielten diese Christen für einen Propheten. Aber der Rabbi lehnte jede theologische Diskussion ab. Aus gutem Grund: Denn Robinson glaubte auch, dass sie als Juden am Jüngsten Tag zum Christentum konvertieren müssten. Doch bis es soweit war, konnten dieser Reverend, seine Gemeinde und seine immensen Finanzmittel der Sache seiner ultraorthodoxen Partei hier in Israel nur helfen.
Der Krieg nahte in großen Schritten, und wieder einmal gab es die Chance, den endgültigen Kampf mit den Ungläubigen zu suchen. Diesmal würden sie nicht mehr zurückweichen.
»Reden wir über die Einsätze.« Robinson hätte noch gern weiter gepredigt, schaltete aber
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