Der Lilith Code - Thriller
rufen: Komm! Da sah ich ein schwarzes Pferd; und der, der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage. Inmitten der vier Lebewesen hörte ich etwas wie eine Stimme sagen: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu!
Offenbarung des Johannes, Kapitel 6, Vers 4
Die Ladeluke öffnete sich. Unter ihnen zogen zwischen Federwolken die schneebedeckten Berge des Antilibanons vorbei. Die feuchte Luft traf auf die heiße Wüstenluft im Osten und füllte den Luftraum mit immer mehr Wolken.
Jan und Elijah waren angegurtet und wie alle anderen mit Sauerstoffmasken ausgerüstet. An der Decke leuchtete eine Digitalanzeige, die rückwärts bis zur Absprungzeit zählte. Dann war es soweit. Regina und Faruk, bepackt mit dem Fallschirm und Gepäck, erhoben sich und wurden wie zwei Tiefseetaucher zum Heck des Flugzeugs geführt. Als Regina auf Jans Höhe war, grüßte sie ihn ein letztes Mal und streckte ihre Hand aus. Er umfasste sie mit beiden Händen. Dann legte er eine Hand auf sein Herz.
Regina hielt sich an einer Querstange fest. Sie konnte über eine Funkverbindung im Helm mit Faruk kommunizieren. »Du springst rechts von mir weg, Ich folge dir, dann hältst du dich an mich. Ich navigiere.«
Mit aller Kraft hielten sie sich bis zum Absprungsignal am Gitter fest. Schließlich erklang ein hoher Ton in ihren Helmen, und Faruk sprang. Eine Sekunde später folgte Regina. Jan starrte den beiden fassungslos hinterher.
Regina blickte auf die milchig weißen Wolkenformationen, die sich unter ihr vom Mittelmeer ins Landesinnere schoben. Das nennt man Glück, dachte sie, denn so konnten sie vom Boden aus erst sehr spät erkannt werden. Faruk flog jetzt wenige Meter vor ihr, hatte seine Hände nach hinten an die Hüften gestemmt und seinen Körper, so gut es ging, nach Osten weggekippt. Sie stemmte ihre Füße nach unten, so dass sie weniger Widerstand bot und besser gleiten konnte. Ihr Funk knarzte nur, nicht verwunderlich angesichts der Höhe. Höhensprünge boten viele Herausforderungen: Kälte, stärkerer Wind, physischer Stress. Keine dieser Widrigkeiten wird jedoch so unterschätzt wie die Hypoxie oder schlicht Sauerstoffmangel. Der kündigt sich nicht abrupt an, sondern schleichend. Man fühlt sich gut, fast euphorisch, doch die Konzentration lässt nach, und die meisten tödlich endenden Sprünge verlaufen so, dass der Schirm falsch oder zu spät geöffnet wird.
Regina sprach, während sie Höhenmesser und GPS fest im Blick hatte, Faruk an. Sie lag etwa fünf Meter von ihm entfernt. Näher wollte sie nicht kommen, um eine Kollision zu vermeiden. »Faruk?« Nichts als Rauschen in ihrem Headset. Noch knapp zwei Minuten bis zum Öffnen. Entgegen der üblichen Filmlegenden war es nicht möglich, eine bewusstlose Person einfach festzuhalten und mit ihr gemeinsam zum Boden zu gleiten. Das Öffnen des Schirms setzt zu viele Kräfte frei, die die Muskelkraft nie auffangen könnte. Regina wusste das. Sie wusste auch, dass nie ein Springer, ohne den Schirm zu öffnen, einen Sprung jemalsüberlebt hatte. Es waren noch 6000 Meter bis zum Grund. Sie sah zwischen den niedrigen Wolkendecken Dörfer, Straßen und hörte immer noch keinen Ton vom Syrer. Sie fluchte, denn in drei Kilometern landeinwärts lag ihre Landezone. Sie drehte den Kopf nach vorn und sank noch schneller. Sie musste unter den Syrer kommen, der jetzt kaum noch seine Position stabilisierte. Sein Körper kippte nach links, ruckartig schlugen seine Beine nach oben. Er purzelte in der Luft, verursachte Verwirbelungen, und Regina musste wieder ihre Position neu finden, wollte sie nicht mit ihm zusammenstoßen. 3000 Meter zeigte der Höhenmesser an, und sie rasten beide mit knapp 220 Kilometer pro Stunde der Erde entgegen. Immer wieder schleuderte Faruks Kopf hin und her. Sie musste eingreifen, denn am Boden war sie auf ihn und sein Wissen dringend angewiesen. Sie spürte die aufsteigende warme Luft. Sie hatten bei den Sprüngen im Training auch solche Situationen durchgespielt. Aber es war heikel. Sie musste an Faruk herankommen, ihn stabilisieren, dann den Schirm ziehen und sich blitzschnell davonmachen, um nicht unkontrolliert mitgerissen zu werden.
Sie ruderte heran, noch zwei Meter. Unter ihr riss die Wolkendecke nun völlig auf. Klare Sicht herrschte. Ihre linke Hand griff nach Faruks Brust. Reginas Bewegungsfreiheit war erheblich durch die auf ihre Brust geschnallten Waffen und den Rucksack
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