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Der Lilith Code - Thriller

Der Lilith Code - Thriller

Titel: Der Lilith Code - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Calsow
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dingirdimme sü-ha-za-ba-an-da-gar-ra. Reicht das?«
    »Klingt seltsam – fast wie ein Gebet«, meinte Regina.
    Jan beugte sich über den Schreibtisch und öffnete das Fenster. Auf dem Dach gegenüber, nur von ihrem Innenhof und einer Gasse getrennt, nahm eine verschleierte Frau die Wäsche ab.
    »Deine Raucherei ist kaum auszuhalten. Ich muss das als Arzt sagen«, sagte er halb im Ernst und setzte sich wieder. »Ich lese mal weiter, vielleicht ergibt es einen Sinn, wenn man es anders betont:
    sa la-bar-tu-^ i-ku-::^u-su
    galu dingir dini-me-a sü-ba-an-da-ri-a
    sa la-ba-su ir-mii-su.«
    Etwas wischte draußen vorbei. Jan sah einen Moment zu spät auf. »Hast du etwas gesehen?«
    Regina schwieg und starrte nach draußen.
    »Was ist?«
    Die Frau gegenüber hatte ihren Schleier abgelegt und wand sich gerade aus ihrem Kaftan. Ihre weiße Haut darunter glänzte in der Sonne. Sie war schon älter, der Körper war aufgeschwemmt. Jan konnte nicht glauben, was er sah. Die Frau war auf die Brüstung ihres Dachs gestiegen, Schreie hallten herüber. Sie war nackt. Wie eine Schwangere drückte sie ihre Hände in den Rücken, den weichen, massigen Bauch nach vorn gepresst, das Gesicht zu einer Fratze verzerrt.
    Regina sprang mit einem Satz vom Bett auf, rannte zur Tür. Jan blieb wie angewurzelt stehen. Mit einem Mal schwangen die Arme der Frau nach vorn, er konnte noch sehen, dass sie etwas in den Händen hielt, dann bewegten sich ihre Arme, als ob sie mit beiden Händen Bälle in einem hohen Bogen wegwerfen wollte. Jan hörte Regina unten im Hof schreien. Männer erschienen hinter der Frau am Eingang des Daches, ihr Mund klappte jetzt auf und zu, als wolle sie nach etwas schnappen. Sie schrie in schrillem Ton, ohne dass Jan sie verstand. Und es war ihm, als blickte sie nur ihn an.
    In einer letzten schwungvollen Bewegung drehte sie die Arme und stieß die Hände zum Kopf, und ihre Fäuste hieben auf ihr Gesicht. Entsetztes Schreien aus allen Richtungen erklang. Es hatten sich wohl in der Gasse Zuschauer versammelt. Kraftlos fielen die Arme der Frau herunter. In ihren Augen steckten zwei kleine Wäscheklammern. Durch die Wucht ihrer eigenen Schläge taumelte die Frau, dann fiel der nackte Körper nach vorne.

Aleppo, 15. 06., 15.30 Uhr
    Es gibt Leiden, von denen man die Menschen nicht heilen sollte, weil sie der einzige Schutz gegen weit ernstere sind.
    Aus: Marcel Proust »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«
     
    Regina hatte sich tonlos neben ihn auf das Bett gesetzt, ein Kissen auf ihre Beine gelegt und leise geweint. Die Frau war vor ihren Füßen in der Gasse gestorben. Der Anblick ließ sie nicht los. Jan kannte diese Situation aus seiner Arbeit als Notfallarzt. Wenn er den Angehörigen die Todesnachricht mitteilen musste, reagierten einige Menschen so paralysiert wie Regina jetzt. Dabei hatte die Ex-Polizistin viele Leichen gesehen. Jan wusste, dass schon das stille Nebeneinandersitzen trösten konnte, und sonderbarerweise fühlte er sich in diesem Moment mit ihr verbunden.
    Plötzlich sagte er in die Stille hinein: »Ich habe meinen Sohn verloren.«
    Regina schaute auf. »Wie ist das passiert?«
     
    Wo versteckt sich die Katastrophe, bevor sie uns trifft? Passt sie uns ab, wenn wir uns sicher wähnen? Oder können wir sie ahnen, erspüren wie Tiere das Erdbeben, Vögel ein Gewitter? Nachher, wenn es uns getroffen hat, sind wir verblüfft, glauben die Merkmale erkennen zu können, staunen über unsere eigene Unzulänglichkeit, die donnernde Lawine nicht längst erkannt zu haben. Aber da hat sie uns schon mitgerissen, uns vielleicht sogar zerstört.
     
    Hier drinnen ist alles kühl, da draußen alles gelb. Hier beruhigen das Grün und das Chrom. Draußen schreit das Sonnengelb. Seine Finger halten das Leben einer Frau. Das Herz, eben noch über die Straßen des Landes gefahren worden, liegt jetzt hier. Kein Strom, kein Schlag und kein Insulin haben es weiterschlagen lassen. Er denkt an seinen Sohn, der unten mit
einem Freund in der Halle wartet. Er sieht, wie sie auf den mit schmutzigem Velours bezogenen Stühlen vor dem Pförtnerbüro sitzen. Vor sich ihre Badesachen, neben sich die Alten in den Bademänteln und den Jogginghosen. Sie sind es gewohnt. Nie kommt er pünktlich. Selten hält er sich an vereinbarte Zeiten. Ein Verhalten, das sich seine Frau mit seinem Kollegen zunutze macht. Doch das weiß er nicht, als er in ruhigen Bewegungen das Herz des Mannes in die Frau legt.
    Mit dem Ellenbogen drückt er gegen

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