Der Lilith Code - Thriller
die Armatur, kaltes Wasser läuft über die dünnen Hände. Er schaut in den Spiegel, leert seinen Kopf. Er erschrickt unmerklich. Ein Gesicht taucht hinter ihm auf. »Kannst du morgen vor der ersten OP früher kommen und mit mir in meinem Büro noch einen Kaffee trinken?«, fragt das Gesicht. »Ja, um was geht es?« Misstrauen steigt in dem Arzt auf. Er war mit dem Verwaltungschef Bender einmal befreundet gewesen. Dann hatte es einen Machtkampf um eine Chefarztstelle gegeben, und sie fanden sich in unterschiedlichen Lagern wieder. Nur ihre Frauen halten noch Kontakt. Der Arzt zieht Hemd und Hose aus, wirft sie in den kleinen Container in der Ecke und steht nackt vor Bender. »Etwas Persönliches«, meint Bender ein wenig betreten.
»Du machst mich neugierig. Erzähl schon!« Er will selbstbewusst wirken, neutral klingen.
»Nicht jetzt, komm einfach morgen zu mir.«
»Willst du mich rauswerfen?«
»Nein, das würde ich dir nur schriftlich mitteilen.« Ein Scherz, der misslingt und in einer peinlichen Stille untergeht. Bender verschwindet so lautlos, wie er gekommen war.
Als Notfallmediziner gilt er unter den Kardiologen immer als zweite Wahl, seine Weiterbildung nehmen die »Silberrücken« nicht ernst. Seine Kiefer mahlen.
Die Tür des Fahrstuhls öffnet sich. Er sieht die Kinder. Keines springt auf. Sie nehmen ihre Rucksäcke. Er lächelt, interpretiert ihr Verhalten als Coolness. So wie er es auch früher gehasst hatte, wenn seine Mutter plötzlich zärtlich wurde. Die
Hitze trifft ihn unvorbereitet. Er hat sie den Vormittag über vergessen. Die alten Männer, die rauchend vor dem Eingang des Krankenhauses stehen, grüßen ihn schüchtern. Einige verstecken ihre glimmenden Zigaretten hinter dem Rücken. Während er seine Sachen auf dem Gepäckträger festzurrt, schubst der Ältere den Jüngeren. Er ermahnt sie matt. Dem Älteren, einem Achtjährigen, sieht man die langen Jahre als geliebtes Einzelkind an.
Der Arzt wechselt auf den Bürgersteig, sucht den Schatten. Sie wollen zum Eisbach, einem Seitenarm der Isar. An der Ampel steigt er ab, schließt die Augen. Die Hitze, die Abgase und das Ozon machen ihm zu schaffen. Er greift zum Handy, hofft auf eine SMS seiner Frau. Nichts. Er schaut zu den Kindern. Sie beachten ihn nicht, schauen nur auf die Ampel. Die Hitze macht alle stumm. Erst als sie am Eisbach ankommen, redet er. Er spricht von seinem Tag. Sie hören weg. Sie schließen ihre Fahrräder ab. Schon jetzt ist die Liegewiese voll. Grün springen die Wellen, zwängen sich lauthals durch den Kanal. Vor der Brücke tanzen Surfer auf ihren Brettern die Schaumkronen ab. Ein Mädchen steht auf einer Holzplanke, hält sich an einem Gummiseil fest. Sie treibt in die Mitte des Bachs, und das Seil reißt sie ruckartig nach vorn.
»Bei so was kriegt man eine gute Figur«, sagt der Arzt, während er seine Unterhose umständlich auszieht. Er schaut dem Mädchen dabei auf die Brüste.
»Dann mach das doch auch mal«, fordert sein Sohn.
Er schaut seinen Jungen an. Er bemerkt nicht das Unfreundliche in den Worten des Jungen, spürt nicht das Sich-Messen-Wollen hinter den Worten.
»Du zuerst.«
»Vergiss es.«
Sie lassen sich dreimal von dem starken Wasser bachabwärts tragen. Beim Herauskommen bleibt er am Ufer mit seinem Ring an einem Ast hängen. Blut platzt aus einem Riss. Da steht er auf dem Kiesweg im Englischen Garten. Mit zu verzerrtem Gesicht für eine so kleine Wunde. Die Jungen sind
schon wieder vorgelaufen. Er will sich hinlegen. Aber sein Sohn quengelt, hat noch nicht genug, will zum Wehr, das den wilden Eisbach vom ruhigen Schwabinger Bach trennt. Er sieht den Jungen an, der seinen Vater allein haben möchte. Er sagt: »Okay.«
Sie springen fast auf der Höhe der Bachsurfer ins Wasser. Statt sich nach rechts weiter abwärts treiben zu lassen, rudern sie geradeaus. Er hievt sich auf die Mauer. Sein Sohn sitzt neben ihm. Der Arzt schaut auf die Mädchen in ihren Bikinis, hört ihr Lachen. Weit oben sieht er die Jungen am Rand stehen. Er winkt. Sie rufen. Springen. Er schaut ihnen nach, ruft ihnen zu, als ihre Köpfe Korken gleich aus dem Wasser auftauchen. Er paddelt ein paar Meter, stellt sich dann vor die Eisenplatte, die das Wasser hier zurückhält. Auf der Platte thront eine gusseiserne Stange. Dazwischen schießen die Fluten in einer Kaskade in den tiefer liegenden Bach. Das Wasser drückt den Arzt an die Wand. Grün rollt es um ihn herum. Er spürt die Kraft. Den Boden sieht er nicht. Nur die
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